Fluch oder Segen? Airbnb erobert Leipzig
Immer mehr Touristen in Leipzig übernachten in privaten Wohnungen statt in einem Hotel. Vermittlungsportale wie Airbnb und Wimdu boomen. Während Hoteliers über den Wettbewerber klagen, kritisieren andere, dass die Portale die Wohnungsknappheit in der Stadt verschärfen.
„Frühstücken, wann ich will“
„Frühstücken, wann ich will“
Stefanie Gregg sitzt auf einer grauen Couch, in der Küche grummelt die Kaffeemaschine. „Die ist beinahe das Wichtigste“, sagt die 47-Jährige und lacht. Gregg schreibt Romane, ihre Lesereisen führen sie quer durch die Republik und diesmal für ein Wochenende nach Leipzig.
Die Münchner Autorin hätte ein Hotel buchen können, stattdessen hat sie über das Vermittlungsportal Airbnb eine private Wohnung gefunden. „Ich brauche ein bisschen Ruhe, einen Schreibtisch und einen Kühlschrank“, erklärt sie ihre Entscheidung. Hotels seien ihr zu unpersönlich, sie mag es nicht, wenn sich die Gäste morgens am Frühstücksbuffet drängeln. „Da nehme ich mir lieber ein Brot mit und trinke hier meinen Kaffee, wann ich es will.“
80 Euro zahlt sie pro Nacht in der „Pension John“ in Leipzig-Leutzsch, wie die Ferienwohnung im Internet heißt. Der Preis unterscheidet sich kaum von einem Standardhotel. Doch auf die Kosten kommt es Stefanie Gregg nicht an, die bekommt sie ohnehin ersetzt.
Gegen ein klassisches Hotel entscheiden sich in Leipzig immer mehr Gäste. Eine Studie des Hotel- und Projektentwicklers GBI zeigt, dass jeder siebte Tourist in der Messestadt eine private Unterkunft bucht. Portale wie Airbnb, Wimdu oder 9flats machen es leicht, etwas Passendes zu finden.
Das Angebot reicht vom Bett in einer Studenten-WG, über ein einzelnes Zimmer bis zu kompletten Wohnungen. Die Unterkünfte sind oftmals billiger als ein Hotelbett. In einem Ranking von Übernachtungsplätzen in deutschen Großstädten belegt Leipzig den 6. Platz und liegt damit noch vor Metropolen wie Frankfurt oder Stuttgart.
„Leipzig wird zum einen als Reiseziel immer beliebter. Zum anderen hat sich hier eine besonders starke Privatquartier-Szene entwickelt“, sagt Stefan Brauckmann, Leiter der Forschungsabteilung des Immobilienentwicklers GBI.
Nervige Gäste sind schnell wieder weg
Nervige Gäste sind schnell wieder weg
Gastgeberin Karin John hat die knapp 70 Quadratmeter große Zweiraumwohnung zum ersten Mal übers Internet vermietet. Zuvor lebte ihre 91-jährige Mutter hier. Als diese ins Pflegeheim musste, fasste die 64-Jährige den Entschluss, künftig Gäste übernachten zu lassen.
50.000 Euro steckten sie und ihr Mann in die Wohnung, ließen eine neue Küche einbauen, kauften neue Möbel. „Das muss sich jetzt auszahlen“, sagt die Berufschullehrerin. Außerdem könne sie so „nette Leute kennen lernen“. Wenn sie sehr nett sind, dürfen sie den Garten mit Pool und Whirlpool mitbenutzen.
Und noch einen großen Vorteil sieht die Hausbesitzerin: Wenn ihr ein Gast auf die Nerven geht, ist sie ihn nach einigen Tagen wieder los. Mit langfristiger Vermietung hat die Leipzigerin schlechte Erfahrungen gemacht. John entschied: „In mein Haus kommen nie wieder Mieter rein.“
Gastgeberin Karin John über die Vorteile, ihre Wohnung an Feriengäste zu vermieten.
Stefanie Gregg ist zufrieden mit der Ferienwohnung. Bei den etwa 20 Unterkünften, die sie bereits über private Vermittler gebucht hat, habe sie nie schlechte Erfahrungen gemacht. „Ich erwarte kein Hotel, aber es sollte sauber und nett sein und das hat immer geklappt.“
Die Autorin wohnt gern in dem Viertel, in dem die Bewohner zu Hause sind, will deren Kiez kennen lernen. „Das ist für mich deutlich mehr Leipzig, als ein Hotel in der Innenstadt“, sagt sie. Die Kritik, dass Anbieter wie Airbnb der Hotelbranche die Gäste wegnehmen, versteht Gregg. „Wenn es das Portal nicht gäbe, würde ich in ein Hotel gehen.“ Die Autorin findet, dass die Hotelbetreiber sich ihren Bedürfnissen anpassen müssten. Dann würde sie vielleicht häufiger wieder dort buchen.
Nebenan vermietet Karin John eine weitere Wohnung, meistens an Monteure. Sie ist weniger hochwertig eingerichtet, kostet für drei Personen nur 60 Euro pro Nacht. Die besser ausgestattete Airbnb-Wohnung bietet sie für 80 bis 120 Euro pro Übernachtung an. Das sei lukrativer.
Klar müsse sich ihr Angebot erst herumsprechen, zu Pfingsten ist ihr Feriendomizil schon ausgebucht. Vielleicht lässt sie irgendwann jemanden einziehen, der sie im Alter pflegt. „Aber im Moment“, sagt sie, „will ich hier erstmal ein bisschen Geld verdienen.“
Wer untervermietet, riskiert die Kündigung
Wer untervermietet, riskiert die Kündigung
Was Hausbesitzer ohne weiteres tun können, gilt für Mieter nur bedingt. Anke Matejka, Vorsitzende des Leipziger Mieterbundes, warnt davor, die eigene Wohnung an Touristen unterzuvermieten. „Damit sollte man vorsichtig sein, denn dafür braucht man die Zustimmung des Vermieters“, stellt sie klar.
Grundsätzlich habe der Mieter keinen Anspruch darauf, seine Wohnung unterzumieten. Es sei denn, es sind Gründe entstanden, die das rechtfertigen, etwa ein Jobverlust. „Der Vermieter hat dem Mieter die Wohnung zu Wohnzwecken überlassen und nicht, damit derjenige damit Geld macht“, so Matejka. Bietet er seine Wohnung trotzdem im Internet an, könne das böse Folgen haben. „Zunächst riskiert er eine Abmahnung, danach im schlimmsten Fall die Kündigung.“
In ihrer Beratungsstelle seien zwar bisher noch keine Fälle dieser Art aufgetaucht, sagt die Mieterbundchefin. Sie kenne aber Leute, die ihre Wohnung Touristen unerlaubt zur Verfügung stellen.
Anke Matejka, Vorsitzende des Leipziger Mieterbundes, über die rechtliche Lage beim Thema Untervermietung.
Die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) hat einige Mieter abgemahnt, die ihre Wohnungen bei Airbnb oder anderen Portalen angeboten hatten. Eine Untervermietung an Touristen sei grundsätzlich untersagt, heißt es. Bei der LWB ist von Einzelfällen in Alt-Lößnig und im Zentrum die Rede, bei denen Mieter ihre Wohnungen an Reisende zwischenvermietet hatten, so LWB-Sprecherin Samira Sachse.
Das Unternehmen sei Hinweisen von Nachbarn nachgegangen und habe Abmahnungen ausgesprochen. Die Mieter haben danach entweder ihre Anzeigen aus dem Netz genommen oder aber den Mietvertrag für die Wohnung beendet. „In vier Fällen hat die LWB dem Mieter gekündigt, wobei eine fristlose Kündigung vor Gericht anhängig ist“, so Sachse.
Auch bei anderen Leipziger Wohnungsgenossenschaften sind Untervermietungen an Touristen nicht erlaubt. Bei der Wohnungsgenossenschaft Pro Leipzig, der etwas über 1000 Wohnungen in der Stadt gehören, sind bisher zwar keine Fälle bekannt. „Wir wollen das nicht“, sagt eine Mitarbeiterin aus der Verwaltung. Das Unternehmen habe Angst, dass die Reisenden randalieren oder Krach machen. Den gewachsenen Hausgemeinschaften würde es ohnehin nicht entgehen, wenn Fremde im Haus ein- und ausgingen. „Wir würden es mit Sicherheit erfahren.“
„Leipzig profitiert von Airbnb“
„Leipzig profitiert von Airbnb“
Volker Bremer, Geschäftsführer der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH (LTM), ist kein grundsätzlicher Gegner von Portalen wie Airbnb und Co. „In der Regel geht es dabei um geteilte Wohnungen“, sagt der 56-Jährige. Studenten, die ihre Zimmer vermieten, Eltern, bei denen die Kinder ausgezogen sind. „Damit habe ich überhaupt kein Problem.“
Gäste, die lieber in einer Privatwohnung schlafen, gehören zudem zu einer anderen Zielgruppe. „Diese Leute wollen nicht das klassische Hotelzimmer mit Doppelbett und Minibar“, sagt Bremer. Viele Bewohner wollen eine Küche nutzen, wünschen sich Kontakt zu den Gastgebern und Insider-Tipps für die Szeneviertel der Stadt. Bremer ist sich sicher: „Man kann diesen Trend nicht umkehren.“ Und er glaubt: „Leipzig profitiert von Airbnb.“ Schließlich gebe jeder Gast im Schnitt 39 Euro pro Tag in der Stadt aus.
„Kritisch wird es erst, wenn gewerbliche Anbieter den Bürgern Wohnraum wegnehmen“, so Bremer weiter. Dieser rechtliche Graubereich habe mit dem ursprünglichen Gedanken der shared economy nichts mehr zu tun. Die Gefahr: Spekulanten kaufen in nachgefragten Wohngegenden Eigentumswohnungen, einzig zu dem Zweck, sie gewinnbringend an Reisende zu vermieten.
Während Großstädte wie Berlin, Wien und Barcelona mittlerweile restriktiv gegen solche Entwicklungen vorgehen, so Bremer, könne er das für Leipzig bisher nicht erkennen. Der LTM-Chef plädiert für ein so genanntes Zweckentfremdungsverbot, das Hausbesitzern verbietet, ihre Wohnungen zu Feriendomizilen umzufunktionieren.
LTM-Chef Volker Bremer über die Chancen, die Portale wie Airbnb für Leipzig bieten.
„Eine schwierige Grauzone“
„Eine schwierige Grauzone“
Christopher Zenker, SPD-Fraktionsvorsitzender im Leipziger Stadtrat, ist überzeugt, dass ein solches Verbot den angespannten Wohnungsmarkt in Leipzig entlasten würde. Dann hätte die Stadt die gesetzliche Grundlage, um gegen kommerzielle ganzjährige Vermietung vorzugehen. Dafür bedarf es allerdings einer Gesetzesänderung auf Landesebene. Doch die Parteien im Sächsischen Landtag sehen derzeit keinen Grund, die Vermietung von Privatwohnungen an Touristen zu beschränken. Die Fraktionen von CDU, Linken, SPD und Grünen sehen aktuell keine Gefahr für den Wohnungsmarkt in Sachsen.
Zenker glaubt nicht, dass hier schon das letzte Wort gesprochen ist. Seine Fraktion hat im Februar einen Antrag vorgelegt, der ein Zweckentfremdungsverbot für Leipzig vorantreibt und die Stadt darin aufgefordert, zu untersuchen, wie viele Wohnungen unerlaubt an Touristen vermietet werden. Aktuell haben die Behörden keinen Überblick darüber, wie viele Unterkünfte das tatsächlich betrifft. Wer eine Wohnung dauerhaft an Touristen vermieten will, muss das zwar genehmigen lassen. Dabei gebe es aber zwei Probleme, erklärt Stadtsprecher Matthias Hasberg: Erstens bekommen es die Ämter gar nicht mit, wenn eine Wohnung unerlaubt als Ferienapartment im Netz angeboten wird. „Die Behörde muss dem Vermieter nachweisen, dass er die Unterkunft dauerhaft gewerbsmäßig vermietet“, sagt er. „Das ist ausgesprochen schwierig.“
Zweitens sei es per Gesetz nicht klar geregelt, was „dauerhaft“ überhaupt heißt. „Einer kommunalen Behörde sind da schnell die Hände gebunden, weil man keine echte Handhabe hat“, so Hasberg. „Wir haben rechtlich eine schwierige Grauzone.“
SPD-Fraktionsvorsisitzender Christopher Zenker über den Sinn eines Zweckentfremdungsverbots für Leipzig
Airbnb weist Kritik zurück
Airbnb weist Kritik zurück
In diesem Jahr gab es gerade mal einen offiziellen Antrag auf Umwandlung einer Unterkunft in eine Ferienwohnung, im vergangenen Jahr waren es sieben. „Was darüber hinaus über Airbnb und andere Portale läuft, wissen wir nicht“, so Stadtsprecher Hasberg. Die Internetanbieter sind nicht verpflichtet, den Behörden ihre Gastgeber zu melden. „Wir haben im Moment keine rechtliche Handhabe, einen Portalbetreiber dazu zu zwingen, die Daten rauszurücken.“
Gerade Unternehmen, die keinen Sitz in Deutschland haben, kooperierten nur sehr selten. Nötig sei eine Regelung im Datenschutzgesetz, dass die Anbieter zwingt, offenzulegen, wer seine Wohnung für welchen Zeitraum anbietet. Dann könnten die Behörden auch durchgreifen.
Die Kritik, dass ihr Internetportal die Situation auf dem Wohnungsmarkt zusätzlich verschärft, weist Airbnb von sich. Die überwiegende Mehrheit der Gastgeber in Leipzig seien Privatpersonen, die gelegentlich einzelne Zimmer oder ihre ganze Wohnung vermieten, wenn sie selbst beruflich oder privat unterwegs sind, teilt das Unternehmen mit. „Airbnb ermöglicht den Leipziger Bürgerinnen und Bürgern sich mit ihrem Zuhause, dem üblicherweise größten Kostenfaktor, etwas dazuzuverdienen und führt gleichzeitig zu einer effizienteren Nutzung des vorhandenen Wohnraums“, so Sprecherin Isabell von Klot. Zudem sei das Portal die einzige Plattform, die „eng mit den Städten zusammenarbeitet, beispielsweise durch die automatisierte Einziehung von Beherbergungsabgaben" und „klare Regeln für Privatpersonen“ unterstützt.
Stadtsprecher Matthias Hasberg über die Gefahr für den Wohnungsmarkt durch Portale wie Airbnb.
Kein fairer Wettbewerber
Kein fairer Wettbewerber
Scharfe Kritik an der Vermittlungsplattform kommt erwartungsgemäß aus der Hotelbranche. Axel Ehrhardt, Direktor des Mercure-Hotels am Johannisplatz und Vorsitzender der Leipzig Hotel Alliance, sieht in den Anbietern keine „fairen Wettbewerber“.
Während die Hoteliers dutzende gesetzliche Vorgaben, etwa beim Brandschutz oder der Hygiene, beachten müssten, seien die privaten Vermieter von diesen Auflagen befreit. Es sei kostspielig, jährlich alle Elektrogeräte prüfen zu lassen, Fluchtwegekonzepte zu erarbeiten oder Legionellen-Checks durchführen zu lassen. Ehrhardt geht zudem davon aus, dass viele Vermieter die Einnahmen steuerfrei auf ihr Konto buchen. „Dem Staat gehen Mehrwertsteuerumsätze verloren“, beklagt er. Nur so könnten die Vermieter auf den Portalen Übernachtungen von 40 bis 70 Euro pro Person anbieten. „Da können die meisten Hotels nicht mithalten“, so Ehrhardt.
Die Gästezahlen in der Stadt steigen ständig. In den nächsten zwei Jahren werden 20 neue Hotels mit 2000 neuen Zimmern gebaut. „Wir erleben im Moment einen Hotelboom, der seinesgleichen sucht“, so Ehrhardt. „Das weckt Begehrlichkeiten.“ Airbnb und Co., das sei nicht „home sharing“, sondern „ganz klares Business“, findet der Hotelchef.
Ehrhardt ärgert es, dass „das Thema ist in der Stadtverwaltung noch nicht angekommen ist“ und fordert die Verantwortlichen auf, etwas zu unternehmen. Sonst sei es bald so schlimm wie in Oberwiesenthal. In dem Kurort am Fichtelberg buchen Touristen fast nur noch private Unterkünfte. „Da wohnt gar keiner mehr.“
Axel Ehrhardt, Direktor des Mercure-Hotel, übt scharfe Kritik an Portalen wie Airbnb.
Texte und Videointerviews: Gina Apitz
Fotos und Videodreh: Dirk Knofe
Drohnenflug und Animation: Patrick Moye
Schnitt: Felix Ammenn (Leipzig Fernsehen)
Konzept und Produktion: Gina Apitz