Luxus-Hotel der DDR So wurde im Leipziger Astoria gearbeitet Zusammenhalt, aber strenges Regiment
Juri Gagarin, Johannes Heesters, David Hasselhoff: Internationale Promis stiegen damals im Leipziger Hotel Astoria ab, einem der nobelsten Gästehäuser der DDR. 1996 wurde die Luxus-Herberge geschlossen, 2020 soll sie wiedereröffnet werden. Für viele ehemalige Mitarbeiter geht damit ein Traum in Erfüllung, an den sie nicht mehr geglaubt hatten. Doch wie war es eigentlich, zu DDR-Zeiten im Astoria zu arbeiten? Vier Ehemalige erinnern sich.
Roastbeef-Röllchen mit Sahnemeerrettich
Roastbeef-Röllchen mit Sahnemeerrettich
Als Ralf Lehmann 1966 im Astoria anfing, war er zunächst begeistert, in einem „der besten Häuser der DDR“ zu arbeiten. „Wer da rein kam, war jemand Besonderes“, sagt der gebürtige Leipziger. Als Koch bekam er von den Berühmtheiten, die hier ein- und ausgingen zwar nicht viel mit. Klar war für ihn: „Wer ins Astoria kam, musste ein bissel Geld haben und Vitamin B.“ 500 Ostmark verdiente Lehmann damals als einfacher Koch. Eine eher schlechte Bezahlung, findet er heute.
Dafür durfte er Speisen zubereiten, die der normale DDR-Bürger nie zu Gesicht bekam. Roastbeef-Röllchen mit Sahnemeerrettich, Wildmus, Kalbsteak Florida – „das kannten die normalen Leute nicht.“ Und sie konnten sich die Preise auch nicht leisten, sagt er. Exotische Fischsorten, etwa Heil- und Steinbutt, Muscheln und Schnecken, landeten auf den Tellern der oftmals internationalen Gäste. Die Kühlfahrzeuge brachten aus Berlin, „wie von Geisterhand“ alle möglichen Leckereien in die Messestadt, erzählt der gelernte Koch. Von der Mangelwirtschaft des Sozialismus bekam Lehmann hier nichts mit.
„Eine Schinderei“
„Eine Schinderei“
Arbeiten im Astoria hieß Schuften. „Es war schon eine Schinderei“, sagt er klipp und klar. Ralf Lehmann bereitete das Essen für die Empfänge und großen Feste vor. Einmal schnippelte er für einen der legendären Silvesterbälle für 800 Gäste kunstvolle Kartoffel-Fisch-Schiffchen. „Soviel Aufwand wäre in einer normalen HO-Gaststätte undenkbar gewesen.“
Doch das Astoria war eben keine einfache Hotel-Gaststätte, vor allem, was die Hierarchie anging. Hunderte Lehrlinge wurden in der Küche ausgebildet, es gab Beiköche, Sauciers und Vorkoster. Sie alle folgten einer strengen Befehlskette, an deren Spitze der Küchenchef stand. Widerspruch wurde nicht geduldet, sagt Lehmann. „In der Küche wurde früher viel gebrüllt.“ Der raue Umgangston war es, der den Koch schließlich aus der wichtigsten Küche des Nobelhotels vertrieb. Er wechselte in die Klause, das zweite Restaurant des Astoria, das nicht ganz so gehobene Speisen servierte wie das Nobellokal. Das Arbeiten in dem kleinen Team sei schöner gewesen, sagt Lehmann, der nach der Wende als Gastrolehrer tätig war.
Er blättert jetzt im letzten Gästebuch des Astoria. Drafi Deutscher und Nena haben sich hier verewigt. Der letzte Eintrag lautet: „Das Astoria soll verschwinden, unmöglich! Es gehört zu Leipzig wie die Buchmesse, Auerbachs Keller oder das Gohliser Schlösschen und so soll es bleiben.“
Mit der Fleischgabel gepikst
Mit der Fleischgabel gepikst
Marius Weber stand 1971 für ein dreiviertel Jahr als Lehrling in der Astoria-Hauptküche. „In der DDR gab es eine zentrale Ausbildung, alle Köche lernten das Gleiche“, erzählt der heute 63-jährige Küchenmeister. Die Arbeit in der Großküche war kein Zuckerschlecken. „Einmal musste ich zwei Tage lang Krebsschalen von Hand zermörsern.“
Der damalige Küchenchef führte ein hartes Regiment, warf mit gefrorenen Fleischteilen, wenn ihm etwas nicht passte. „Man wurde auch mal mit der Fleischgabel gepikst, wenn man nicht schnell genug war“, berichtet Weber. Trotzdem gefiel ihm der Zusammenhalt in der Küche. „Wir Lehrlinge waren sehr ehrgeizig, waren ein Team.“
Das Astoria hatte eine eigene Fleischerei, Konditorei und Wäscherei. „Es war eine kleine Stadt, die für alles gerüstet war“, sagt Weber. Stammgäste begrüßte der Küchenchef persönlich, ihre Essens-Vorlieben notierte er. „Das war die hohe Schule.“ Der DDR-Bürger, sagt er, traute sich in diese „andere Welt“ nicht hinein. „Die Leute hatten Hemmungen.“
„Spargel schälen war Chefsache“
„Spargel schälen war Chefsache“
Horst Kucharicky kam 1970 als Lehrausbilder ins Astoria, wurde später Küchenchef und arbeitete bis 1996 in dem Luxus-Hotel. Als es gebaut wurde, sagt der heute 74-Jährige, gehörte das Astoria zu den größten und modernsten Häusern Deutschlands.
Zu DDR-Zeiten war es Regierungs- und Protokollhotel. Kucharicky beschreibt die Größenordnungen, die noch heute beeindrucken: 70 Köche ackerten in den fünf Hotel-Küchen, verköstigten auch die 500 Mitarbeiter. Das Personal arbeitete im Schichtsystem fast rund um die Uhr. „Die Nachtbar schloss um sechs, um fünf kam der erste Koche für das Frühstücksbuffet.“
Den Umgangston in der Küche beschreibt er als „rau, aber herzlich“ und betont: „Es gab schon eine gewisse Hierarchie, aber wir hatten einen guten Zusammenhalt.“ Vor allem die Lehrlinge hatten Respekt. Den Chef duzen gab es nicht, ordentliche Kleidung war enorm wichtig.
Nur die besten Köche schafften es ins Astoria und jeder war auf einen Bereich spezialisiert, so der damalige Meisterkoch: Einer kümmerte sich um die Soßen, einer um die Beilagen, einer war für die kalte Küche zuständig. „Spargel schälen war Chefsache“, erinnert er sich. An der Ausgabe kontrollierte ein Kellner, was dem Gast vorgesetzt wurde. Entsprach das Gericht nicht in den Anforderungen, ging es zurück in die Küche.
Das Bild oben zeigt
Horst Kucharicky
mit dem damaligen Direktor des Astoria,
Peter Schulze (l.), der 1995 verstarb.
Die Angestellten konnten nur auf wenig Technik zurückgreifen. „Die Pommes Frites mussten wir selbst schneiden, aus der Tüte gab es nichts“, so Kucharicky. Dafür hantierten die Köche mit Leckereien, die zu DDR-Zeiten kaum jemand zu Gesicht bekam: Räucherlachs, ungarische Salami, Rinderlende, zählt er auf.
Obwohl das Personal sehr auf Hygiene achtete, hatte das Astoria Probleme mit Schädlingen, vor allem mit Schaben. „Einmal im Jahr schloss das Hotel für drei Tage und wurde komplett ausgeräuchert“, erzählt der gelernte Koch.
In den 1970er-Jahren brannte es in einem Zwischengeschoss des Wirtschaftsbereichs, in dem Polystyrol lagerte. „Da waren die ganzen Wände schwarz“, erinnert sich Kucharicky. Die Gäste bekamen von dem Vorfall nichts mit.
Der letzte Direktor
Der letzte Direktor
40 Jahre im Astoria: Eckhard Werner fing 1959 als Kochlehrling hier an und arbeitete sich über die Jahre in der Hierarchie nach oben: Er war erst Jungfacharbeiter, dann Schichtleiter, Küchenchef und schließlich letzter Direktor des Hotels.
Viele Reisegruppen aus sozialistischen Ländern kehrten im Astoria ein, erzählt der 75-Jährige. Außerdem die Gästemannschaften großer Sportveranstaltungen, etwa von Fußballturnieren. Vor allem bei Messeempfängen gab es strenge Sicherheitsvorkehrungen, erinnert sich Werner. Die Stasi hatte ein eigenes Zimmer im Hotel, ausgestattet mit dem neuesten Stand der Abhörtechnik. „Wir haben das nicht hundertprozentig gewusst“, sagt Werner. „Nur geahnt.“
Das Interesse an den Geheimnissen der oftmals ausländischen Gäste war groß. Peter Maffay, David Copperfield, Hella von Sinnen und Franziska van Almsick nächtigten in dem ersten Haus am Platze. Letzterer gefiel ihr Aufenthalt allerdings nicht: „Schnell raus aus diesem Gruselhaus“, habe Almsick beim Frühstück gemurmelt, erzählt Werner und gibt zu: „Manche Zimmer waren sehr duster.“ In den 1980er-Jahren, als er stellvertretender Direktor des Hauses wurde, sei die Einrichtung nicht mehr auf dem neuesten Stand gewesen. „Da hätte dringend etwas gemacht werden müssen.“
Das Bild oben zeigt
Eckhard Werner
mit dem Zauberkünstler David Copperfield.
Der Service wurde im Astoria aber nach wie vor groß geschrieben, Extrawünsche berücksichtigt. Ein Gast vertrug keine keine Petersilie, ein anderer trank nur Radeberger, der dritte wünschte sich ein Hirschgeweih auf dem Zimmer? Kein Problem. Das Personal kannte die kleinen Macken und Vorlieben der Gäste. „Deshalb fühlten sich alle wohl bei uns“, sagt Werner. Und: „Dadurch, dass wir so hoch angebunden waren, war mehr Geld da als für die anderen Buden.“
Wichtige Gäste nahm er persönlich in Empfang, lud sie zum Essen ein. Der Besuch aus dem Westen brachte Devisen ins Land. „Die Händler der Pelzmessen hatten sehr viel Geld“, erinnert er sich. „Sie zahlten in Westmark.“ Und bekamen dafür ausgezeichnetes Essen, schwärmt Werner.
Im Astoria wurde aufwendig gekocht. Bestellte der Gast einen „Karpfen blau“, fischt der Koch den Fisch frisch aus einem Becken, bereitete ihn zu und servierte ihn, erzählt Eckhard Werner.
Manchmal hatte das Fischbecken auch eine andere Funktion: Die Kollegen tauften hier die Neulinge und nahmen sie damit feucht-fröhlich in den Kreis der Astorianer auf.
Die ehemaligen Mitarbeiter treffen sich noch heute jedes Jahr am 5. Dezember, erzählen sich Geschichten von früher. Eckhard Werner, der das Wiedersehen jedes Jahr organisiert, hat einen besonderen Wunsch: Eines Tages soll das Ehemaligen-Treffen am alten Ort stattfinden: im Hotel Astoria.
Aktuelle Fotos und Videodreh: Dirk Knofe
Historische Fotos: Susanna-Eger-Schule, privat, LVZ-Archiv
Schnitt: Felix Ammenn (Leipzig Fernsehen)
Texte, Video-Interviews, Produktion: Gina Apitz
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