Ungewohnt - wohnen, wo andere staunen Vom DDR-Bahnhof zum Traumhaus
Drei Zimmer, Küche, Bad – das reicht manchen Menschen in und um Leipzig nicht aus. Sie haben sich ein Heim geschaffen, das alles andere als gewöhnlich ist. Die multimediale Serie „Ungewohnt“ gibt Einblicke in sieben ganz besondere Häuser. Der erste Teil: ein alter Bahnhof im Groitzscher Ortsteil Großstolpen.
Der letzte Zug ist abgefahren
Wo einst die Eisenbahn zwischen Neukieritzsch und Pegau hin und her pendelte und ab 1956 gar ein richtiges Bahnhofshaus entstand, erinnert heute vor allem eine riesige Signalanlage an den früheren Bahnhof in Großstolpen. Dort, im ehemaligen Bahnhofshaus, lebt heute die Familie Kükelhan, bestehend aus den Hausherren Birgit und Mike mit Tochter Jessica.
238 Tage bis zum Wohnglück
238 Tage bis zum Wohnglück
Kein Jahr hat die Familie mit der tatkräftigen Unterstützung vieler fleißiger Helfer gebraucht, um aus dem in die Jahre gekommenen DDR-Bau ein gemütliches Zuhause zu machen. Schmuddelgraue Wände sind einer strahlenden Fassade gewichen, das Innere einer Entkernung, die Barrierefreiheit für Tochter Jessica und viel Platz für das Familienleben gebracht hat. Denn das steht im alten Bahnhof im Mittelpunkt. Die 29-jährige Jessica ist beeinträchtigt. Sie braucht viel Aufmerksamkeit und liebt das Zusammensein mit ihren Eltern.
238 Tage lagen zwischen Kauf und Einzug. Rekordverdächtig! „Vormittags haben wir unterschrieben und dann kamen schon die ersten Helfer“, erinnert sich Birgit Kükelhan. Die
47-jährige Verkäuferin
kann die nicht oft genug erwähnen, wie dankbar sie für die Hilfe ist. Vor allem die Eltern der Eheleute haben kräftig mit angepackt.
Erst hat es nicht geklappt
Erst hat es nicht geklappt
Während des Baus lebten die Kükelhans auf der anderen Seite der ehemaligen Bahnstrecke, die nun als Fahrradweg genutzt wird. Die Familie hatte das zukünftige Zuhause so stets im Blick. Mike Kükelhan (45) ist gelernter Fleischermeister, wohnt schon immer in Großstolpen, wollte mit seiner Familie dort bleiben und ein Eigenheim bauen. „Nachdem es mit einem Baugrundstück nichts geworden ist, haben wir gehört, dass die Bahn ihrerseits welche veräußert“, erinnert er sich. Auch das hat zwar nicht auf Anhieb geklappt, doch 2006 war es dann endlich so weit ...
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Eine Signalanlage zum zehnjährigen Jubiläum
Eine Signalanlage zum zehnjährigen Jubiläum
Heute ist Tochter Jessicas Lieblingsplatz auf dem großen gemütlichen Sofa. Das steht direkt neben einer Durchreiche, die einst ein kleiner Verkaufsraum war. Jessica kann aus großen Fenstern sehen, die viel Licht in die Wohnstube lassen. Ein wärmender Kamin sorgt zusätzlich für Behaglichkeit. Ihr Blick fällt dabei genau auf die Trasse, die einst die Schienen beherbergte und heute Radfahrern ein schnelles Vorankommen ermöglicht.
„Wir wollen uns hier drin nicht verstecken, wir sind offen und gesellig und wir freuen uns, wenn die Menschen sich für unser Zuhause interessieren“, erklärt Birgit Kükelhan auf die Frage, ob es sie nicht stört, dass man vom Radweg mitten in ihr Wohnzimmer gucken kann. Außerdem kenne man sich in Großstolpen und die meisten würden nur kurz grüßen und dann weiterfahren. „Wir haben eine sehr gute Gemeinschaft hier, wir feiern regelmäßig zusammen und jeder hilft jedem“, sagt die Hausherrin, die sich in ihrem Dorf sichtlich wohl fühlt.
Hoher Besuch
Hoher Besuch
Beim Rundgang ums Haus zeigt sie stolz auf eine meterhohe Signalanlage, die in der Einfahrt an die einstige Nutzung des Grundstücks erinnert. „Wir sind im Sommer 2007 eingezogen, haben dieses Jahr also unser Zehnjähriges gefeiert. Bei der Fete wurden wir plötzlich in die Einfahrt gebeten. Und da kamen die mit einem Laster an und haben diese Signalanlage geliefert. Das war verrückt“, erinnert
sich
Birgit Kükelhan an die gelungene Überraschung. Ihr Ehemann ergänzt lachend: „Und binnen 14 Tagen stand die Anlage dann auch schon. Da kamen alle zum Arbeitseinsatz – so läuft das hier bei uns.“
Die Kükelhans haben oft und gerne Besuch. Ganz besonders war jedoch eine Begegnung vor ein paar Jahren. „In dem Haus hat immer jemand gewohnt. Zu ihrem 90. Geburtstag kam die erste Bewohnerin zu uns. Die hat sich sehr gefreut, nochmal hier sein zu können“, so Birgit Kükelhan. Mittlerweile ist die Dame verstorben. Ihre Tochter hat den Kükelhans alte Fotos und sogar den ersten Mietvertrag zukommen lassen. Diese und weitere Erinnerungen bewahrt die Familie in einer Vielzahl von Alben auf. Denn in einem ehemaligen Bahnhof zu wohnen, ist auch für sie etwas besonderes.
Video-Interview und Text: Nathalie Helene Rippich
Fotos und Video: Dirk Knofe
Schnitt: Felix Ammenn (Leipzig Fernsehen)
Grafik: Patrick Moye
Themenidee: Tatjana Kulpa
Konzept und Produktion: Nathalie Helene Rippich, Gina Apitz
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