Dietzolds-Werk wird zum Atelierhaus Leipzigs verlassene Orte im Wandel
Halb verrottet und mit Pflanzen bewachsen oder im Umbau – viele ehemalige Industrieanlagen in Leipzig sind dem Verfall preisgegeben, in anderen zieht neues Leben ein. In einer sechsteiligen Serie begeben wir uns auf einen Streifzug durch die letzten „Lost Places“ der Stadt, zeigen aber auch, was man aus den alten Gebäuden so alles machen kann. In die ehemalige Dietzold-Fabrik sind inzwischen Künstler eingezogen.
Das Dietzold-Werk befindet sich in der Franz-Flemming-Straße in Leipzig-Leutzsch.
Vor zwei Jahren sind die ersten Künstler in das Haus eingezogen, in große Gemeinschaftsateliers. 13 Kunstschaffende sind es bis jetzt. Erwünscht sind vor allem bildende Künstler, damit es nicht so laut wird.
Als Bildhauer hat man eher schlechte Karten. Vier bis fünf Kreative teilen sich in der Regel einen Raum. In der so genannten Pilotenküche können zudem Künstler aus dem Ausland für einige Monate eine Unterkunft mieten. Die Nachfrage sei gut, sagt der Eigentümer. Alle Flächen seien entweder vermietet oder schon jemandem versprochen.
Im Erdgeschoss soll eine Galerie entstehen, außerdem ein kleines Restaurant mit Freisitz. Auf dem Dach plant Mahnke eine Fläche für Veranstaltungen. Neben einem überdachten Teil mit Glasfassade soll der restliche Bereich dort als Dachterrasse genutzt werden – mit tollem Ausblick über Leipzig. „Das ist die Quersubventionierung des Projekts“, erklärt Mahnke.
In zwei Jahren soll das Dach fertig sein, dann geht es an den Außenbereich des Geländes. Den Innenhof will Mahnke ebenfalls umgestalten lassen, vielleicht mit einem Wintergarten. Schon jetzt treffen sich die Mieter dort zum Grillen, direkt hinter der Mauer verläuft die S-Bahn-Strecke nach Leutzsch.
Der Verein "Haushalten"
Der Verein "Haushalten"
Für die Umsetzung seines Plans hat sich Mathias Mahnke den Verein “Haushalten” ins Boot gehot. Der vermittelt normalerweise Wächterhäuser in Leipzig an Zwischenmieter.
Die Umnutzung des ehemaligen Dietzold-Werks als Atelierhaus ist ein neues Projekt, erklären die beiden Vereinsmitglieder Volker Schulz, 53, und Magdalena Bredemann, 27, während sie durch das Haus führen. Mit dem Modell soll der Verfall, Vandalismus und Abriss solcher stadtbildprägenden Gebäude verhindert werden, sagen sie.
Im Vorderhaus sind noch die Handwerker zugange, die gerade Zwischendecken einziehen. „Ein bisschen Baulärm müssen die Mieter hinnehmen“, sagt Bredemann. Im Herbst sollen die nächsten Kunstschaffenden einziehen.
Diese Installation stammt von einer niederländischen Künstlergruppe, die
aus Gegenständen, die sie in Industrie-Ruinen finden,
Kunstinstallationen baut.
Obwohl alle Künstler befristete Verträge haben, betont Inhaber Mahnke, dass das Atelierhaus nicht als Zwischennutzung gedacht ist. „Ich will langfristig hochwertige Künstler ins Haus holen.“ 3,39 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zahlen die aktuell für ihre Ateliers.
Wenn er wollte, sagt Mahnke, könnte er die Flächen schon jetzt fürs Doppelte an Gewerbetreibende vermieten. Eine andere Nutzung, zum Beispiel Wohnungen, sind jedoch nicht erlaubt, weil es sich um ein Industriegebiet handelt. Doch teuer zu vermieten, das sei gar nicht seine Absicht. Die Finanzierung für das Haus stehe ohnehin. „Mir sitzt keine Bank im Nacken.“
Der Medienkünstler
Der Medienkünstler
Georg Lisek gehört zu jenen Kunstschaffenden, die die alte Fabrik seit einer Weile beleben. Ein Styroporblock, ein Holz-Obelisk, ein Bildschirm – es sind keine typischen Maler-Utensilien, die man in seinem Atelier entdeckt. Der Medienkünstler teilt sich den Raum in Dietzolds Werk seit zwei Jahren mit zwei weiteren Kreativen.
„Am Anfang war es hier sehr rau und sehr kalt”, so der 32-Jährige. Den Holzboden und die Kabel für die Beleuchtung verlegten die Künstler selbst und machten es sich nach und nach gemütlich. Georg Lisek sagt, dass er Glück habe ein Atelier in einem alten Industrie-Objekt gefunden zu haben. Denn: „Die Orte schwinden. Entweder werden sie weggerissen für Einkaufszentren oder aufgemotzt zu Loft-Wohnungen.”
Leipzig hat der aus Berlin stammende Künstler vor einigen Jahren bereits zu seiner Wahlheimat erklärt. Nach einem Studium an der Burg Giebichenstein in Halle absolviert er gerade ein Masterstudium in Bildender Kunst in Dresden. Doch in der Stadt an der Elbe will er nicht wohnen.
In Leipzig sei die Kunstszene „unglaublich aktiv”. Gleichzeitig gebe es aber auch eine große Konkurrenz. Lisek kann von seiner Kunst bisher nicht leben, er hat mehrere Nebenjobs, mit denen er sein Studium finanziert. Das Problem: Die Video-Installationen, die er entwirft, hängt sich kaum jemand ins eigene Wohnzimmer, nur wenige werden verkauft. Stattdessen arbeitet er oft mit Museen zusammen, auch im Ausland, die seine Arbeiten gegen Geld ausstellen.
Der kreative Hausmeister
Nur wenige Meter von Georg Lisek entfernt trifft man auf den einzigen Bewohner der Fabrik. Ein Besuch bei Jurek Rotha ist schon wegen der Lampen ein Erlebnis. Verschiedene alte Industrieleuchten versammelt der Leipziger Künstler in seinem Atelier. Dazwischen stehen historische Möbel, die er, wie die Lampen, auf Flohmärkten oder in ehemaligen Fabriken findet.
Der 42-Jährige arbeitet nicht nur im ehemaligen Dietzold Werk, er wohnt auch hier und kümmert sich als eine Art Hausmeister um die einstige Fabrik. Hier zu leben und zu malen – für ihn sei das „ein Traum”.
Der Anfang in der Fabrik
Der Anfang in der Fabrik
Dabei war der Start ungemütlich. Als Rotha vor zwei Jahren vom Spinnereigelände hierher zog, war er der erste Mieter. „Da war das hier noch Baustelle. Es wurden gerade erst die Wände eingezogen”, erinnert er sich. Es gab noch keine neuen Fenster, die Heizung funktionierte nicht. Der handwerklich begabte Künstler packte selbst mit an, baute Zwischenwände ein, besserte den Fußboden aus. „Es war wie Zelten”, erzählt er von den Anfängen. „Hier standen überall Paletten mit Bananenkisten, in denen ich mein Zeug drin hatte.” Zu Beginn war Rotha auch eine Art Wachschutz, der kontrollierte, dass alle Türen verschlossen waren, niemand das Grundstück betrat, das damals noch viele Neugierige anzog.
Im Gegenzug hat der Pionier nun 235 Quadratmeter Fläche, die er zum Wohnen und Arbeiten nutzen kann. Zufällig beschäftigt sich der Maler gerade mit dem Thema „Verlassene Orte”, treibt sich dafür häufig in Abrisshäusern herum, um zu fotografieren. Viele Motive findet er in Leipzig und Umgebung, in Zeitz zum Beispiel. Auf Grundlage seiner Fotos bemalt Jurek große Leinwände mit Öl. „Nur sanierte und geleckte Häuser, das wäre ein bisschen langweilig”, sagt er.
Es sei aber weniger die Architektur, die ihn fasziniere. „Es ist eher dieses Morbide, das mich daran interessiert.” Auch sein aktuelles Werk zeigt eine echte „Dreck-Ecke” in einer Zeitzer Industrie-Ruine. Mindestens 100 Stunden hat er schon daran gearbeitet, das Bild ist noch nicht ganz trocken. Die verschmierte Farbmischpalette liegt auf einem Tisch neben der Leinwand.
Zu sehen bekommt man Rothas Werke auf der Leipziger Jahresausstellung auf dem Gelände der Baumwollspinnerei am 8. Juni. Dort zeigt der Künstler erstmals nach jahrelanger Pause einige seiner Arbeiten.
Die Galerie Im Nachbargebäude soll ein zweites Atelierhaus entstehen
Die Galerie Im Nachbargebäude soll ein zweites Atelierhaus entstehen
Nur ein paar Meter von Dietzolds Fabrik entfernt befindet sich das Atelier „ff 15“ von Maria Melms und Silvana Wagner. Das Haus Nummer 15 in der Franz-Flemming-Straße war mal eine Fabrik für Farben und Lacke, Anfang der 2000er-Jahre Domizil gleich mehrerer Rockergangs, und ist inzwischen ebenfalls im Besitz von Mathias Mahnke.
Auch in dieses Gebäude sollen nach und nach Künstler einziehen. Und wer fragt, kann seine Arbeiten in der Galerie im Erdgeschoss auf 120 Quadratmetern gleich der Öffentlichkeit zeigen. Vor einem knappen Jahr eröffneten Melms, die Geschäftsführerin beim Leipziger Bund Bildender Künstler ist, und Wagner hier eine Galerie. Der Schwerpunkt liege auf Leipziger Künstlern, erklärt Maria Melms. „Es sollen alle Genres der Bildenden Kunst eine Rolle spielen.“ Gezeigt werden neben Malerei auch Plastiken, Installationen, Medienkunst und Bildhauerei.
Die Galeristin schätzt den Industriecharme des Gebäudes. „Wir wollten keine glatte Galerie, in der alles weiß ist, sondern wir haben hier extra Teile des Gebäudes drin gelassen“, erklärt die 33-Jährige. Ein altes Stück Zaun, das sie in dem Haus fanden, dient als Garderobe, die Original-Metallsäulen wurden stehen gelassen, auch die rustikale Decke erinnert noch an die frühere Nutzung des Hauses. „Die Künstler haben hier sehr viel Freiraum“, sagt Melms. Sie dürfen in den Boden und in die Decke bohren – „In welcher Galerie sonst ist das schon erlaubt?“, sagt die Galeristin und lacht.
Melms weiß, dass ihre Galerie – auch durch die Lage mitten im Industriegebiet – noch längst nicht so viele Besucher anzieht wie das Spinnereigelände oder das Tapetenwerk. Doch dieser Underdog-Status stört sie nicht. Und: „Hier passiert unglaublich viel.“ Die Galeristin sagt, sie fühle sich inmitten der Künstler „total wohl“. Und wer weiß – vielleicht bekommt die Franz-Flemming-Straße irgendwann einen eigenen Rundgang, wenn auch in Dietzolds Fabrik eine zweite Galerie eröffnet. Noch aber ist sie ein Geheimtipp mitten in Leutzsch.
Die Galerie ist freitags und samstags von 15 bis 17 Uhr und auf Anfrage geöffnet.
Die Geschichte des Werks
Erbaut wird das Dietzold-Werk 1915 durch den Architekten Emil Franz Hänsel, der in Leipzig unter anderem das Kaufhaus am Brühl sowie das Messehaus Specks Hof und die Fabrik Ludwig Hupfeld AG entwirft.
Die Farben-Werke
Nur ein paar Meter von Dietzold entfernt befindet sich das ehemalige Farbenwerk, das die Unternehmer Fritz Springer und Christian Möller 1895 gründen. Damals werden dort chemische Buntfarben, Öllacke, Spirituslacke und Druckfarben hergestellt.
1929 arbeiten in der Fabrik 427 Menschen, 345 Arbeiter und 82 Angestellte. Zu DDR-Zeiten firmiert der Betrieb unter dem Namen „VEB Farben und Lacke“.
Die ehemalige Theaterfabrik mit dem markanten Turm gegenüber der Farbenwerke gehört als Kulturhaus damals ebenfalls zum Unternehmen.
Texte und Video-Interviews: Gina Apitz
Fotos und Videodreh: Dirk Knofe
Drohnenaufnahmen: Birk Poßecker
Schnitt: Leipzig Fernsehen
Konzept, Produktion: Gina Apitz
Quellen: Matthias Mahnke, Leipziger Geschichtsverein
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