Doppelte Ortsnamen im Landkreis Leipzig Verwechslungen gleichlautender Ortsnamen kosten Paketzustellern, Taxifahrern aber auch arglosen Freunden immer wieder Zeit, Benzin und vor allem Nerven. Im Landkreis Leipzig gibt es gleich mehrere Beispiele für Zwillingsorte, bei denen man unfreiwillig in die Falle tappen kann. LVZ-Redakteur Haig Latchinian besuchte ganz freiwillig Bewohner in Roda, Böhlen, Frauendorf, Haubitz, Beucha – und lernte doppelt hinzu.
Beucha bei Brandis - bei Bad Lausick
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Beucha bei Brandis: Steinbruch, Puffärmel und Völkerschlachtdenkmal
Beucha bei Brandis: Steinbruch, Puffärmel und Völkerschlachtdenkmal
Ingrid Winter (86) ist nicht nur Ur-Beuchaerin, sie hat auch eine ganz besondere, eine persönliche Beziehung zu dem bekannten Steinbruch des Ortes, auf dem die majestätische Kirche thront: „Steinbruchsbesitzer Johann Wolfgang Löhr war mein Großvater. Er lieferte damit den Granitporphyr für den Bau von Völkerschlachtdenkmal und Leipziger Hauptbahnhof.“ Der Bruch mit dem markanten Gotteshaus ist das Wahrzeichen des Brandiser Ortsteiles. Oft schwamm die damals junge Ingrid in dem Wasser unterhalb der Felsen und spielte mit dem Ball. In Beucha heiratete sie, hier sang sie im Kirchenchor, erinnert sich die gelernte Schnittmodellzeichnerin. Während der Designer die Vorlagen kreierte, staffierte Ingrid Winter all die Schaufensterpuppen aus. „Ich hatte sie mit Seidenpapier modelliert. Mit Puffärmeln, Tasche und Faltenrock. Das wurde dann fotografiert und in den Zeitschriften abgedruckt. So konnten sich die Näherinnen ein Bild machen, wie es am Ende aussehen soll.“ Als Dame von Welt kennt sie den Zwillingsort Beucha bei Bad Lausick nicht nur. Sie fuhr sogar extra dorthin: „Ich war eben neugierig.“
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Beucha bei Bad Lausick: Ruhe, Heilung und der Sohn des Mustafa
Beucha bei Bad Lausick: Ruhe, Heilung und der Sohn des Mustafa
Isa Pfefferle-Walther (47) stammt aus Rötha, kaufte mit ihrem Mann in Beucha einen Vierseithof, sanierte ihn und betreibt seitdem eine Praxis für Entspannung, Klang und Heilungsbegleitung. Zusätzlich vermietet sie auf dem Grundstück ein Ferienhaus. Chor aus Leipzig, Verein auf Klausurtagung oder Kindergarten zur Weiterbildung – wer Ruhe sucht, findet sie hier. Kein Wunder, dass es immer mehr junge Familien in den Ort bei Bad Lausick zieht. Die Heimatgeschichte wird hoch gehalten. So ist im nahe gelegenen Waldstück das Tatarengrab zu besichtigen. Es heißt, Jussuf, der Großmütige, Sohn des Mustafa, habe sich in den Wirren der Völkerschlacht schwer verletzt, sei im Ort gepflegt worden und dort schließlich gestorben. Lehrer Helmuth Thomalla und seine Schüler machten sich um das Grab auf dem Hügel verdient, Iris Rische vom Dorffestverein sorgt noch immer für frische Blümchen. Isa Pfefferle-Walther erinnert sich noch gut an ihre Einzugsparty 2000: „Eine gute Freundin meldete sich verzweifelt per Telefon. Sie könne uns nicht finden. Schließlich stellte sich heraus, dass sie im anderen Beucha war, fast 30 Kilometer entfernt von uns rumkurvte ...“
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Böhlen bei Grimma - bei Borna
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Böhlen bei Grimma: Ein Dorf, die Schule und der Bus
Böhlen bei Grimma: Ein Dorf, die Schule und der Bus
Peter Kebsch (76) war ein Leben lang Lehrer in Böhlen bei Grimma. Von 1968 an unterrichtete er 35 Jahre in Deutsch und Kunst. Schon als Kind besuchte er die damalige Dorfschule, rund 120 Mädchen und Jungen absolvierten dort die Klassen 1 bis 8. Fortan seien es rund 350 Kinder und Jugendliche, die die Klassenstufen 5 bis 10 durchliefen. Kebsch hält noch heute Kontakt zur Böhlener Schule. Kein Schulfest, das er nicht besucht. Er ist stolz auf die Schule: „Ich kenne heutzutage kein anderes Dorf mit 450 Einwohnern, das eine Oberschule besitzt. Das Tolle: Wir haben nicht nur eine Schule, sondern bauen in Kürze sogar eine neue!“ Es sei der traditionell enge Kontakt zwischen Lehrern und Schülern, der die Böhlener Schule so beliebt mache und warum sie aus allen Nähten platze. Er freue sich schon auf das moderne Schulhaus. Grimmas Oberbürgermeister Matthias Berger habe Wort gehalten: „Vor der Eingemeindung hatte er uns eine neue Schule versprochen.“ Und das Böhlen bei Borna? Kebsch lacht: „Es passiert schon mal, dass unsere Schüler auf Klassenfahrt wollen und pünktlich am Treffpunkt stehen. Nur einer fehlt: Der Bus. Der wartet zur gleichen Zeit im anderen, größeren Böhlen.“
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Böhlen bei Borna: Blumen, Gedenksteine und der Dampf
Böhlen bei Borna: Blumen, Gedenksteine und der Dampf
Reinhard Mager (69) sitzt im Herzen der Stadt Böhlen und erfreut sich an den Blumen. In den gepflegten Rabatten, die auf dem Rondell angelegt sind, zeigt er mehrere Gedenksteine. „Hier, schauen Sie, jeder Stein erinnert an einen weggebaggerten Ort.“ Demnach fiel Treppendorf (120 Einwohner) 1965 der Kohle zum Opfer, Zeschwitz (402 Einwohner) 1953 und Stöhna (792 Einwohner) 1956. Mager blickt nicht im Zorn zurück. Im Gegenteil: Er selbst arbeitete bis zuletzt in Espenhain – zuerst in der Schwefelgewinnung, später in der Schwelerei. Er ist waschechter Böhlener und bekennt sich zum Bergbau: „Der war es, der unsere Region einst groß gemacht hat. Hier war die Arbeit, hier zogen die Menschen her.“ Nachdem sein Werk dicht gemacht wurde, verdingte er sich als Reinigungskraft, durchlief ABM und Umschulung. Zwar könnte die Rente höher sein, aber er komme schon zurecht. Seiner Heimatstadt schwört er ewige Treue: „Wo noch gibt es eine Kleinstadt mit weniger als 7000 Einwohnern, die du schon von weitem siehst“ – vielleicht sogar von Böhlen bei Grimma. Er spielt auf den Dampf des Kraftwerks Lippendorf an.
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Frauendorf bei Grimma - bei Frohburg
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Frauendorf bei Grimma: Weder Disko noch Bahnhof, aber Kirschen
Frauendorf bei Grimma: Weder Disko noch Bahnhof, aber Kirschen
Renate Friedrich (81) ist Ur-Frauendorferin. Schon ihre Mutter, Erna Hegewald, erblickte im heutigen Grimmaer Ortsteil das Licht der Welt: „Sie war viel später mal im Krankenhaus. Als sie entlassen wurde, wartete und wartete ich zu Hause. Es stellte sich heraus, dass sie der Krankentransport nach Frauendorf bei Frohburg gebracht hatte. Erst mit großer Verspätung konnten wir sie in die Arme schließen.“ Frauendorf hat rund 50 Einwohner. Der Zusammenhalt ist groß. Die reifere Dorfjugend unternehme regelmäßig Ausflüge, sagt die Seniorin. „Mein Sohn Lutz war mit dem Klub an einem Männertag per Traktor und Hänger ins Frauendorf bei Frohburg gefahren.“ Sie hätten sich jenen Ort anschauen wollen, der um einiges größer sei als der eigene. „Es kamen mal junge Leute zu uns und wollten wissen, wo es zur Disko geht und wo der Bahnhof sei – dabei haben wir weder das eine noch das andere“, sagt Renate Friedrich. Schnell machte es bei ihr klick: „Sie wollen bestimmt in das Frauendorf bei Frohburg?!“ Sonst ist mit ihr immer gut Kirschen essen, nur in diesem Jahr nicht: „Da sind überall Maden drin.“
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Frauendorf bei Frohburg: Kirche, Sonne und die Nackten
Frauendorf bei Frohburg: Kirche, Sonne und die Nackten
Diethard Welsch (69) entstammt einer alten Tischlerdynastie. Noch heute engagiert sich der Tischlermeister in der Innung und leitet in Borna die AG Holzbearbeitung. Erst kürzlich überholte er das einst von Jochen Pechstein gebaute Modell der Frauendorfer Kirche von Grund auf. Zur Kirche kam er wie die Jungfrau zum Kinde: Als junger Polizist sollte er dem damals in Lastau bei Colditz predigenden Pfarrer Christian Führer die Fahrerlaubnis abnehmen, nachdem dieser mit seinem Motorrad gestürzt war. „Dazu kam es gar nicht. Stattdessen redeten wir stundenlang miteinander – über Gott und die Welt.“ Diethard Welsch widmete sich fortan dem Holz, was ihm ohnehin mehr lag: „Ich hatte schon immer was gegen Waffen“, sagt der Pazifist, der an seiner Werkstatt ein Plakat angebracht hat: „Bomben schaffen keinen Frieden!“ Frauendorf war offensichtlich schon immer eigen. Nachbar Lothar Jehnich erinnert an die Zeit vor über 100 Jahren: „Da gründete Verleger Bernhard Winkler zwischenzeitlich eine Gesundheitskolonnie in Frauendorf. Arbeit an frischer Luft, Baden in der Eula, nackte Körper in der Sonne – kein Wunder, dass damals mancher Dorfbewohner durch die Astlöcher im Bretterzaun illerte.“
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Haubitz bei Grimma - bei Borna
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Haubitz bei Grimma: Ruhe, Geselligkeit und eine Nationalspielerin
Haubitz bei Grimma: Ruhe, Geselligkeit und eine Nationalspielerin
Kim Käseberg (15) fühlt sich wohl in ihrem 126-Einwohner-Ort Haubitz bei Grimma. Ein Freund, der in ihre Klasse gehe, sei auch dort zu Hause – was praktisch sei: „Wenn ich Fragen bei Hausaufgaben und vor einer Arbeit habe, kann ich immer zu Philipp gehen.“ Vater Gerd schätzt die ländliche Ruhe und den Zusammenhalt: „Jeder kennt jeden. Alle passen auf. Wenn du in Urlaub bist, brauchst du dir also keine Sorgen zu machen, dass sich Fremde auf dein Grundstück verirren.“ Tochter Kim ist ein Star im Dorf. Jedenfalls dürfte sie die einzige Nationalspielerin weit und breit sein: „Ich bin Mitglied der deutschen U19-Auswahl im Floorball.“ Und nicht nur das. Mit der Grimmaer Damenmannschaft wurde sie in diesem Jahr Deutscher Pokalsieger. Im Endspiel setzten sich die Muldentalerinnen gegen Dresden durch. Derweil unterlagen sie im Liga-Finale den Weißenfelserinnen und wurden Vize-Meister. Vom Zwillingsort Haubitz bei Borna haben Vater und Tochter gehört: „Klar, das ist der Grund, weshalb wir – sollte doch mal ein Taxi notwendig sein – bei der Bestellung immer Haubitz bei Grimma sagen.“
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Haubitz bei Borna: Lutherin, Großbrand und Heuersdorfer Kirche
Haubitz bei Borna: Lutherin, Großbrand und Heuersdorfer Kirche
Rudolf Dietzmann (82), Bauer und Schmied, ist gebürtiger Haubitzer. Er bewohnt den Hof, den sein Ur-Großvater Friedrich Wilhelm Dietzmann 1879 gekauft hatte. Der Rand-Bornaer besuchte bereits das Haubitz bei Grimma und sieht zu seinem Haubitz bei Borna zumindest einen Anknüpfungspunkt: Katharina von Bora. Die Lutherin, einst aus Nimbschen bei Grimma geflohen, soll mal in seinem Dorf übernachtet haben. „Ich weiß es nur vom Hörensagen, beweisen kann ich es nicht. Es soll hier mal ein Kloster gegeben haben.“ Was er dagegen mit Sicherheit sagen könne: „Das Dorf Haubitz brannte 1848 zum großen Teil ab.“ Verschiedene Güter seien in der Folge ein Stück weiter von der Eula entfernt wieder aufgebaut worden. „Unsere Scheune wurde 1920 errichtet. An gleicher Stelle stand davor eine Scheune in Fachwerkbauweise.“ Sie habe den verheerenden Brand offenbar überstanden und sei von vorgespannten Ochsen auf Baumstämmen auf das heutige Grundstück gezogen worden. Die nicht ganz ernst gemeinte Frage, ob Haubitz somit das Vorbild für die von Heuersdorf nach Borna versetzte Emmauskirche gewesen sei, quittiert der Hausherr mit einem Schmunzeln.
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Roda bei Grimma - bei Frohburg
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Roda bei Grimma: Ein See, Bauern und Neo Rauch
Roda bei Grimma: Ein See, Bauern und Neo Rauch
Marianne Müller (84) kennt das Roda bei Frohburg nur durch die postalischen Irrläufer. Nie würde sie weggehen aus ihrem Roda bei Grimma. Verliebt, verlobt, verheiratet – alles verbindet sie mit dem 120-Seelen-Ort. Im vielleicht schönsten Hof des Dorfes wohnen drei Generationen unter einem Dach. Die einstige Sekretärin der Geflügelwirtschaft ist sichtlich stolz auf ihre drei Enkel. Jonas, der älteste, macht derzeit seine Lehre zum Landwirt. Er tritt somit in die beruflichen Fußstapfen seines Vaters Jörg und des bereits verstorbenen Opas Joachim. Marianne Müller weiß: „Roda, das ist weit mehr als Campingplatz und See.“ Im Dorf sei kein geringerer als Maler Dietrich Burger zu Hause. 40 Jahre war er Lehrer an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Wie so viele andere junge Künstler ging auch Neo Rauch durch seine Hände. Eine weitere wichtige Adresse: Das Gut von Manfred Kurth mit dem schmiedeeisernen Tor der einstigen Dresdner Bank in Leipzig. Und der „steinreiche“ Peter Mettig schützt den Rasenstreifen vor seinem Haus mit vier großen goldenen Klumpen. Ob angemalt oder echt – es bleibt sein Geheimnis.
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Roda bei Frohburg: Bürgermeister, Dorfsieger und die Eichen
Roda bei Frohburg: Bürgermeister, Dorfsieger und die Eichen
Kurt Marticke (85) war vier Jahre hauptamtlicher und sieben weitere Jahre ehrenamtlicher Bürgermeister von Roda, heute Ortsteil von Frohburg. Lange kämpfte er um die Selbstständigkeit des Dorfes, sagt der Ex-Ortschef. Roda bei Grimma kenne er zwar vom Hörensagen. An Verwechslungen könne er sich aber nur in Bezug auf Roda in Thüringen erinnern: „Außerdem wohnt im Nachbarort ein Mann, der genauso heißt wie ich und auch noch im gleichen Jahr geboren wurde. Auch da ging schon mal was durcheinander.“ Marticke kam nach dem Krieg mit Mutter, Vater und zwei Pferden als Flüchtling aus Militsch, damals Schlesien. Er liebt sein Roda, jenen mehrfach preisgekrönten Bilderbuchort mit 350 Einwohnern: „Im damaligen Kreis Geithain wurden wir Schönstes Dorf. Das war Mitte der Neunzigerjahre. Wenig später schafften wir es im Dorfwettbewerb auf Bezirksebene auf den zweiten Platz.“ Das Wappen des Ortes zeigt eine Eiche. Der Baum hat Tradition im Ort. Noch heute steht an allen Ortsausgängen je eine Eiche. Die dürfen wohl nie gerodet werden – auch wenn der Ort Roda heißt.
https://goo.gl/maps/NjQjHu4nVpwZXPyd7
Impressum
Texte: Haig Latchinian
Fotos: Frank Schmidt, Haig Latchinian (Porträts)
Produktion/Montage: Thomas Lieb