Das Konzert im Tagebau
Das Konzert im Tagebau
„Ich war 'n Bergmann, weiter hab’ ich nüscht gelernt“ sang Gerhard Gundermann zur Gitarre am 8. Juni 1997 auf einer Bühne mitten im Tagebau Espenhain. An der Stelle, wo noch einen Monat zuvor eine riesige Förderbrücke stand – am 7. Mai war sie gesprengt worden.
Übrig geblieben ist nur ein eindrucksvoller Rest „Eisenschwein“. In einer halsbrecherischen Aktion hatte Brigitte Steinbach mit ihren Akteuren der Veranstaltungsreihe Bornaer Musiksommers dort ein selbst gemaltes Plakat angebracht, erzählt sie. Gute Konzerte an ungewöhnlichen Orten waren damals ihr Steckenpferd. Mit Gundermanns „Engel über dem Revier“ unter dem Rest einer Förderbrücke gelang dies.
„Selbst eine geschundene Landschaft hat ihre schöne Seiten“, sagt die Frau aus Rötha. „Ein Konzert im Tagebau in der Abenddämmerung hat Wirkung und Kraft.“ Sie erinnert sich noch an die Spuren der Großgeräte im Sand und wie die Zuschauer bei jedem Schritt leicht einsanken.
Brigitte Steinbach: „Auf der Bühne war er in seiner Welt“
Der singende Baggerfahrer aus der Lausitz passte mit seinen Songs, die viel von schmerzlichen Wende-Erfahrungen der Bergleute erzählen, in die Bornaer Landschaft. „Und dann hieß das Programm auch noch ’Engel über dem Revier’, das fand ich sehr emotional und schön.“
Gundermann habe im Gespräch auf sie still und nachdenklich gewirkt, „das war keiner, mit dem man einfach so über Gott und die Welt sprechen konnte, er war zurückhaltend, aber auf der Bühne war er dann in seiner Welt und drehte völlig auf“, berichtet sie.
Gundis Spuren in Borna
Gundis Spuren in Borna
Gundermanns Spuren führen auch nach Borna. 1992 suchte er eine Band, die mit ihm seine CD „Einsame Spitze“ live umsetzen wollte. Das war die Initialzündung von Gundermann & Seilschaft –zu der auch der gebürtige Bornaer Michael Naß gehörte. Der Beginn einer produktiven musikalischen Freundschaft. „Bis zu seinem Tod 1998 hatten wir eine spannende Zeit, produzierten mehrere Alben und spielten viele Konzerte“, sagt der vielseitige Musiker gegenüber der LVZ.
Das Gründungsmitglied von Seilschaft ist seit 20 Jahren Keyboarder bei BAP, Komponist, Produzent und Arrangeur und stand schon mit vielen anderen Künstlern wie Xavier Naidoo, Nena, Konstantin Wecker, Clueso oder Oonagh auf der Bühne.
Ein Gesamtkunstwerk
Ein Gesamtkunstwerk
Heino Streller aus Borna ist Fan von Anfang an. Zu Beginn der 1980er-Jahre arbeitete er als Sekretär für Kultur und Sport bei der FDJ – und regte an, einen damals neuen Dokumentarfilm über den Liedermacher zu zeigen. „Für mich war Gundi ein Held“, sagt er. Er sei auf dem Boden des real existierenden Sozialismus’ an Grenzen gegangen, sei widersprüchlich und auch wieder sich selbst treu gewesen, ein unbequemer Zeitgenosse im guten Sinne. Streller sozusagen holte Gundermann nach Borna, machte ihn hier bekannter.
An das Konzert im Tagebau Jahre später kann er sich gut erinnern: „Der Mann war ein Gesamtkunstwerk.“ Melodien und Texte seien berührend. All dies würde der aktuelle Film von Dresen zeigen, „authentisch und nah dran an dem, was damals war“. Der Bornaer, der nach seinem SED-Parteiausschluss 1985 wieder in den Tagebau zurück kehrte, meint damit auch die Welt der Bergleute. Man solle sich nur „Brigitta“ anhören, dann verstehe man dies besser. „Ach meine Grube Brigitta ist pleite“ sang Gundermann 1997 im Tagebau Espenhain. „Mein Bagger, der stirbt in der Heide.“
Wende für Bergleute doppelt schwierig
Wende für Bergleute doppelt schwierig
Die Wende habe diese Berufsgruppe „doppelt schwierig getroffen“, sagt Dr. Andreas Berkner, Tagebau-Experte und Chef des Regionalen Planungsverbandes Westsachsen. Zunächst mit einem extremen Stellenabbau. 60.000 Bergleute gab es allein in Mitteldeutschland, Mitte der 90er-Jahre waren nur noch rund 5000 Jobs übrig, weiß er. Zum anderen gab es immense Schuldzuweisungen, was die Eingriffe in die Landschaft betrifft. „Es hieß dann: Was habt ihr Bergleute gemacht? Doch sie haben nichts anderes getan, als dafür zu sorgen, dass der Laden läuft“, so Berkner.
Der bekannte Spruch „Ich bin Bergmann, wer ist mehr?“ sendete Selbstbewusstsein. Die Bergleute in der DDR hatten einen wichtigen Posten. „Von der Braunkohle war wesentlich abhängig, ob es Strom im Land gab“, so Berkner. In Rekordwintern schufteten die Kumpels unter „unsäglichen Bedingungen“. Für DDR-Verhältnisse verdienten sie gut.
Oft waren sie eine besonders eingeschworene Gemeinschaft. Der Experte, der sich seit Jahrzehnten mit dem hiesigen Tagebau beschäftigt, sieht dies in der Historie begründet. Es war schon immer, vor allem früher unter Tage, ein harter und gefährlicher Job, „da musste man sich aufeinander verlassen können“.
Viele einst so stolze und anerkannte Bergmänner hätten nicht wieder den Weg zurück ins Berufsleben gefunden. „Gerade diejenigen, die damals über 50 waren, wurden oft früh verrentet“, meint er. Das sei hart gewesen: Erst war ihre Arbeit immens wichtig fürs Land und nun wurden sie plötzlich nicht mehr gebraucht. In seiner melancholischen Art hat Gundermann auch darüber gesungen. Berkner kennt und schätzt den Liedermacher. Den Film hat er noch nicht gesehen, „das werde ich nachholen“.
Gundermann-Film auf dem Volksplatz?
Gundermann-Film auf dem Volksplatz?
Vielleicht in Borna? „Ich finde ja, der Film passt hierher wie Arsch auf Eimer“, sagt Falk Opelt vom Bornaer Volksplatzverein, der das einmalige 180-Grad-Amphitheater mit Veranstaltungen bespielt, dazu gehört auch ein Film-Sommer. Ihm gefallen die Worte eines Kritikers, der schrieb, es sei der schönste Heimatfilm über ein Land, das es nicht mehr gibt.
Gern würde er den Streifen auf dem Volksplatz zeigen, allerdings sei sich die Vereinsspitze unsicher, ob er wirklich so viele Besucher anziehen kann.„Nach den vielen Auszeichnungen sollte man sich das vielleicht noch mal überlegen“, sagt der Bornaer. Vielleicht finde sich ja ein Film-Pate, der sich an den Kosten für die oft teuren Lizenzen beteiligt. Dann könnte Gundi auf der 504 Quadratmeter großen Leinwand – es soll Europas größte feststehende Filmwand sein – auf dem Volksplatz singen.
Preisgekrönter Streifen
Preisgekrönter Streifen
Die Filmbiografie „Gundermann“ von Regisseur Andreas Dresen gewann am vergangenen Wochenende beim Deutschen Filmpreis in Berlin mächtig gewaltig: Sechs Auszeichnungen gab es insgesamt, darunter die goldene Lola für den besten Film sowie für Regie, Drehbuch und Hauptdarsteller Alexander Scheer.
Als singender Baggerfahrer wurde Gerhard Gundermann bekannt, der 1998 im Alter von nur 43 Jahren starb. Er war ein faszinierender, unangepasster, aber auch widersprüchlicher Mann, wurde von der Stasi bespitzelt und schrieb als IM selbst Berichte. Er war in der Partei, hatte stets die große Klappe und musste die SED wieder verlassen. Seinen Job als Baggerfahrer im Drei-Schicht-System in der Lausitz wollte er nie aufgeben, auch als er mit seiner Musik schon gut Geld verdiente. Spätestens durch diesen Film ist der Musiker, der über Leben, Liebe, Tod und Sterben sang, einem breiteren Publikum bekannt geworden.
Gelobt wird an dem Film, dass er 30 Jahre nach dem Mauerfall beharrlich Widerstand gegen die übliche Schwarz-Weiß-Zeichnung der DDR leistet – und wohl auch deshalb in den Augen der knapp 2000 Mitglieder der Deutschen Filmakademie ein verdienter Sieger war. „Es ist an der Zeit, dass wir komplexere Geschichten erzählen aus Ost und West“, sagte Dresen.