Von der Elster an die Alster? Von Leipzig ans Meer: Der Saale-Elster-Kanal
Ein Kanal sollte Leipzig einst den Anschluss an die Weltmeere bringen. Doch die Wasserstraße wurde nie vollendet. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf, den Saale-Elster-Kanal fertigzustellen. Wie stehen die Chancen für das Mammutprojekt?
Mit dem Boot nach Leipzig schippern
Mit dem Boot nach Leipzig schippern
Dirk Becker steht auf dem Damm in Dölzig und lässt den Blick über das Wasser schweifen. Seit Jahren schon ist der Lokführer fasziniert vom Saale-Elster-Kanal, jener Wasserstraße, die Leipzig einst über die Saale mit dem Meer verbinden sollte. In den 1940er-Jahren wurde das Projekt gestoppt, der Kanal endet heute in einer Sackgasse. Geht es nach Becker, soll sich das bald ändern.
Der Schkeuditzer beschäftigte sich intensiv mit der Baugeschichte, ist seit zehn Jahren Mitglied in einem Förderverein, der die Vollendung der Wasserstraße vorantreibt. Dieser hatte sich 2007 gegründet –„aus einer Bier-Idee heraus“. Das Ziel: Irgendwann mit dem Boot von Halle nach Leipzig schippern.
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aktuell gehört der Kanal dem Bund. „Damit geht das Debakel schon los“, sagt Becker. Die Bundesbehörde ist nämlich nur für die Berufsschifffahrt zuständig. Für Frachtschiffe aber ist der enge Kanal längst nicht mehr interessant. „Der Bund hat kein Interesse daran, ihn fertig zu bauen“, sagt Becker.
Bund müsste den Kanal abgeben
Bund müsste den Kanal abgeben
Das Bundesverkehrsministerium bestätigt: „Ein Lückenschluss mit Verbindung zur Saale ist nicht vorgesehen.“ Die Behörde kümmere sich lediglich darum, die vorhandenen Brücken und Dämme instand zu halten. Der Förderverein spricht sich für eine touristische Nutzung des Wasserwegs aus: Er wäre ein Eldorado für Paddler, Motorboote oder Ausflugsdampfer.
Dafür aber müsste der Bund den Kanal abgeben. Das Ministerium dazu: Einer Übernahme durch Dritte stehe man „offen gegenüber“. Bislang aber gebe es „weder eine konkrete Anfrage zu einer Übernahme noch dementsprechend Verhandlungen oder finanzielle Zusagen seitens des Bundes.“
Doch auch das könnte sich bald ändern. Ein Zweckverband oder eine Trägergemeinschaft würde den Kanal dann übernehmen. Darin wären die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie die angrenzenden Kommunen vertreten, schlägt Becker vom Förderverein vor.
Das zuständige Ministerium in Sachsen-Anhalt äußert sich eher verhalten
zu etwaigen Übernahme-Plänen. Das Verkehrsministerium „vertritt nach wie
vor die Position, dass die Kosten des Weiterbaus in keinem akzeptablen
wirtschaftlichen Verhältnis zum potenziellen Nutzen stehen würden“,
heißt es aus der Pressestelle.
Das sächsische
Wirtschaftsministerium teilt wiederum mit, dass „ die Einschätzung des
Freistaates Sachsens zur Sinnhaftigkeit und Rentabilität ohne Belang
ist, da die Zuständigkeit für den Bau beim Bund liegt.“
Auf anderer Ebene ist man dem Kanal gegenüber positiver eingestellt: Vertreter von betroffenen Landkreisen und Anrainer-Städten, darunter Leipzig und Halle, wollen demnächst eine Absichtserklärung unterzeichnet: Sie wollen eine Arbeitsgemeinschaft gründen, die sich mit dem Kanal-Projekt befasst. Ein erster Schritt.
Bisher ist jedoch kaum abschätzbar, was die Fertigstellung kosten würde. Eine Studie von 2011 veranschlagt zwischen 106 und 125 Millionen Euro. Becker glaubt, dass der Bund bereit wäre, ein Drittel bis die Hälfte der geplanten Baukosten zu übernehmen.
Das Verkehrsministerium bestätigt, dass eine Art „Mitgift“ gezahlt werden kann: „Bei der Abgabe von Wasserstraßen können Vereinbarungen über Ablösungsbeträge getroffen werden“, heißt es. Wie hoch diese sein werden, bleibt offen.
Ein Trog für die Schiffe
Eine Variante, wie die Schiffe den Höhenunterschied überwinden könnten
Derzeit sind verschiedene Varianten im Gespräch. Geht es nach Dirk Becker ist die „Badewanne“, die die Schiffe nach oben hebt, mindestens 56 Meter Meter lang und sechs Meter breit. Nur dann passen die typischen Saale-Ausflugsschiffe hinein.
Variante zwei, wie die Schiffe den Höhenunterschied zwischen Kanal und Saale überwinden sollen.
Die alte Schleuse in Wüsteneutzsch
Ursprünglich sollten die Schiffe den Höhenunterschied mit Hilfe einer Schleusentreppe überwinden. Das Relikt von damals steht noch im Dörfchen Wüsteneutzsch bei Leuna. Der Beton-Koloss wurde 1942 erbaut und ist heute zugewuchert. Diese alte Schleuse wiederzubeleben sei aber keine Option, so Becker. „Sowas guckt sich doch niemand an.“
Konzerte in der Schleuse?
Konzerte in der Schleuse?
Historische Kleinode am Kanal
Doch das technische Denkmal könnte künftig noch anders genutzt werden, sagt Peter Engel, Ortsbürgermeister von Kreypau, zu dem der Ort Wüsteneutzsch gehört. „Zwischen den Wänden ist eine unheimlich gute Akustik“, so der 62-Jährige. Studenten der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) würden hier gern Konzerte geben.
Vom Kanal wäre es bis hierher nur ein Katzensprung. Und es gibt noch viele weitere „historische Kleinode“ in der näheren Umgebung, sagt Dietlind Hagenau, die Bürgermeisterin von Leuna. Die 61-Jährige unterstützt die Vollendung der Wasserstraße und betont das „große Potenzial für unsere Region“, das das Projekt berge.
Der Merseburger Dom, die Saline in Bad Dürrenberg, die Weinberge der Saale-Unstrut-Region – all diese Ziele seien für Touristen interessant. Und sie liegen alle mehr oder weniger in der Nähe des Kanals.
Dietlind Hagenau, Bürgermeisterin Leuna und Peter Engel, Ortsbürgermeister Kreypau über die Kanal-Idee
Ein Radweg auf dem Kanaldamm
Ein Radweg auf dem Kanaldamm
„Ich hätte den Kanal gern 2030 fertig.“
Die Stadt Leuna wolle das Projekt „Stück für Stück begleiten und auch Verantwortung mitübernehmen“, sagt Hagenau. Fest steht aber: Allein kann die Stadt den Kanal nicht bewirtschaften. „Wir können auch kein neues Schiffshebewerk für die ganze Region bauen, das Geld haben wir nicht.“
Es sei zwingend nötig, die Länder, die Landkreise und den Bund mit ins Boot zu holen. Neben der Aufteilung der Kosten gebe es noch weitere Fragen, die im Vorfeld geklärt werden müssen, etwa Eigentumsverhältnisse. Die Wasserstraße gehört zwar dem Bund, doch vereinzelt könnte ein Stück Land auch an Privatpersonen verkauft worden sein. „Um das zu klären, brauchen wir noch ein bisschen Zeit“, so Hagenau.
Schneller wird wohl eine Idee für den schon bestehenden Abschnitt der Wasserstraße umgesetzt: Auf dem Kanaldamm soll in den nächsten Jahren ein neuer Radweg entstehen, der Leipzig und Leuna verbindet. Auch ein Fitnessparcours und Informationstafeln sind geplant. Dietlind Hagenau glaubt, dass dadurch viele Leute neugierig auf das Projekt werden. Vielleicht entstehe ein neuer Verein, vielleicht gebe es bald mehr Bootsanleger. Die 61-Jährige hält die Kanalvollendung für realistisch „aber nicht bis morgen machbar“. Ihr Wunsch: „Ich hätte den Kanal gern 2030 fertig.“
Schkeuditz ist pro Kanal
Von Leuna kanalaufwärts findet sich ein weiterer Fan des Saale-Elster-Kanals: Rayk Bergner, Oberbürgermeister von Schkeuditz, findet das Ganze ein „sehr spannendes Projekt“, das die Stadt „offen“ begleite. Sein Vorteil: Auf der Schkeuditzer Flur ist der Teil des Kanals bereits vollendet, die Kosten wären für seine Gemeinde überschaubar.
Bergner ist sich sicher, dass der Lückenschluss „eine gewisse touristische Wirkung nach sich zieht“, gibt aber gleichzeitig zu, dass es sich um „ein teures und zeitaufwendiges Projekt“ handelt. Er schätzt, dass die Baukosten im dreistelligen Millionenbereich liegen werden.
Doch beim Leipziger City-Tunnel habe es anfangs auch wilde Spekulationen gegeben. „Und heute ist er eine Erfolgsgeschichte.“
Karl Heines Vision
Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist der Durchstich zum Lindenauer Hafen, der nur 75 Meter beträgt. Derzeit wird dafür eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, deren Ergebnis Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres vorliegen soll. Danach beginnt das Planungsverfahren und das Anwerben der Fördermittel. „In den nächsten fünf Jahren könnte es mit dem Bau losgehen“, sagt Rüdiger Dittmar, Chef des Leipziger Amtes für Stadtgrün und Gewässer.
„Natürlich verfolgen wir als Stadt die Vision von Karl Heine, für Leipzig die Anbindung ans Meer zu schaffen“, so der Amtsleiter. Der Anschluss des Lindenauer Hafens ans Gewässernetz vor drei Jahren sei dafür eine „wesentliche Maßnahme“ gewesen. „Darauf können die Leipziger stolz sein“, sagt Dittmar.
Eine Marina am Lindenauer Hafen
Eine Marina am Lindenauer Hafen
Sabine Heymann, die Vorsitzende des Vereins Wasserstadt Leipzig, hat bereits konkrete Pläne für den Lindenauer Hafen. Nötig sei es, dort einen Yachthafen sowie eine Slipanlage für Boote zu bauen, so die CDU-Stadträtin.
Während der Brückenbau über die Lyoner Straße Aufgabe der Stadt sei, könnte die Marina an einen Dritten abgegeben werden, der in die technische Infrastruktur investiert, schlägt die 54-Jährige vor. „Es würde mehr Dynamik für den Kanal geben, wenn es die Verbindung bis Leipzig gäbe“, ist sie überzeugt. Doch der Durchstoß zum Lindenauer Hafen werde wohl nicht vor 2025 kommen, glaubt Heymann. Für große Ausflugsschiffe von der Saale wäre im Hafenbecken ohnehin Schluss.
Um über den engen Karl-Heine-Kanal ins Stadtzentrum zu gelangen, müssten Touristen auf ein kleineres Boot umsteigen.
Artenvielfalt wäre bedroht
Artenvielfalt wäre bedroht
Geld besser im Umweltschutz aufgehoben
Kritik an den Plänen für den Saale-Elster-Kanal kommt vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). „Der Freizeitverkehr rechtfertigt nicht das, was an Kosten dafür aufgewandt wird und was an ökologischen Folgeschäden entsteht“, sagt Professor Felix Ekardt, ehrenamtlicher Landesvorsitzender des BUND Sachsen.
Der Soziologe befürchtet, dass durch den neuen Wasserweg der Leipziger Auenwald in Mitleidenschaft gezogen wird. „Der Auenwald ist ein ökologisch hochsensibles System mit einer hohen Artenvielfalt“, so Ekardt. Der sensible Bereich des Floßgrabens etwa würde durch Paddler stärker frequentiert. Diese Vielfalt gerate unter Druck, wenn der Freizeittourismus zunehme und „der Gesamtverkehr auf den Wasserwegen in und um Leipzig intensiviert wird“.
Das Geld, das in den Ausbau des Kanals gesteckt wird, wäre seiner Ansicht nach im Umweltschutz besser aufgehoben.
Und es gibt jemanden, der der Vollendung der Wasserstraße gelassen entgegen blickt: Seit fünf Jahren vermietet Stephan Lademann am Anfang des Kanals, gleich hinter dem Lindenauer Hafen, fünf Motorboote.
Die Idee wurde anfangs belächelt, sagt der 41-Jährige. Klar könne man mit seinen Booten momentan nur hin- und zurückfahren, sagt er. Dafür aber bekommen Besucher „echte Natur“ zu sehen und genießen eine Ruhe, die sie in der Stadt nicht erleben.
Mit fünf PS über den Kanal
Mit fünf PS über den Kanal
Inzwischen laufe der Verleih gut, es kommen auch viele Auswärtige, sagt Lademann. Seit regelmäßig Motorboote auf dem Kanal fahren, sei dieser nicht mehr so verkrautet. Man könne hier baden, auch wenn das offiziell nicht erlaubt ist.
Der Leipziger unterstützt den Ausbau des Saale-Elster-Kanals zwar grundsätzlich. Von der Verbindung an die Saale würde er selbst aber nicht profitieren. Eine Fahrt bis ans andere Ende dauere mit den nur fünf PS-starken Motoren knapp zwei Stunden. „Für meine Vermietung reicht das komplett.“ Eine Fahrt nach Halle sei eher für Ausflugsdampfer oder Wasserwanderer attraktiv, glaubt Lademann, der eigentlich Schrotthändler ist.
Kommt die Verbindung zur Saale, könnte allerdings die Nachfrage nach seinen Liegeplätzen weiter steigen. Seinen Anlieger für Privatboote hat Lademann bereits erweitert, weil das Interesse daran so groß war. „Jedes Jahr klopfen 30 bis 40 Leute wegen eines Platzes an“, sagt er. Und das, obwohl er keinerlei Werbung dafür mache.
Sollte der Bootsverkehr auf dem Kanal doch irgendwann zunehmen, hat Lademann zumindest in einem Punkt bereits vorgesorgt: Vor drei Jahren setzte er einen weiß-rot-gestreiften Leuchtturm ans Ufer. Der strahlt in der Nacht – und weist den Schiffen im Dunkeln den Weg.
Text und
Video-Interviews: Gina Apitz
Fotos und Videodreh: Dirk Knofe,
Drohnenflug: Patrick Moye
Schnitt: Felix Ammenn, Leipzig Fernsehen
Konzept und Produktion: Gina Apitz
Foto Lindenauer Hafen:
https://www.vol-h-art.com/
Weitere Multimedia-Reportagen
Serie "Mein Viertel"
In der Multimedia-Serie "Mein Viertel" stellen Leipziger ihren Stadtteil vor, zeigen schöne und hässliche Ecken ihres Kiezes.
Karl Heine auf der Spur
Der Visionär und Unternehmer hat den Leipziger Westen entscheidend geprägt. Was bleibt von Karl Heine?
Airbnb in Leipzig
Wie sehen Gäste, Vermieter und Hoteliers private Vermittlungsportale wie Airbnb, die in Leipzig immer beliebter werden?
Das Kraftwerk Lippendorf
Ein multimedialer Streifzug durch das Kohlekraftwerk Lippendorf bei Leipzig.
LVZ Reportage
Hier geht's zur Übersichtsseite über alle Multimedia-Reportagen der Leipziger Volkszeitung