Serie "Mein Viertel" Hinten der Wald, vorn die Stadt: Schönefeld
Auf Streifzug durch den Kiez: In der Serie "Mein Viertel" führen Bewohner durch ihren Stadtteil, zeigen Lieblingsplätze und Schandflecken. In Teil 5 flaniert Ulrike Schlupp durch Abtnaundorf und Schönefeld.
Ulrike Schlupp ist in Schönefeld-Abtnaundorf aufgewachsen. Seit 2017 ist sie im Vorstand des FC International Leipzig, der in Schönefeld beheimatet ist. Ein Spaziergang durch ihren alten Kiez.
Wer sich mit der Geschäftsführerin des FC International Leipzig zum Rundgang verabredet, lernt schnell zwei Dinge über Ulrike Schlupp und Schönefeld. Zum einen weiß die aus dem Viertel stammende 29-Jährige ganz genau, wo sie hin möchte. Zum anderen ist sie alles andere als eine Flaneurin.
Mit schnellen Schritten und vielen Worten geht sie voran, zeigt die Orte ihrer Kindheit, Teenager- und Schulzeit, erzählt dazu Anekdoten und ihre Ansichten. Schönefeld verbindet einerseits aufstrebende Großstadt mit dörflicher Idylle, andererseits scheint es ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein.
Treffpunkt ist an diesem Dienstag der Stannebeinplatz gleich hinter der Hermann-Liebmann-Brücke. Es regnet etwas. Die Suche nach einem Café, um dort den weiteren Weg zu besprechen, läuft ins Leere. Es ist hier zwar vor Kurzem eins entstanden, doch das hat geschlossen.
Als Ausweichobjekt muss die Filiale einer Bäckerei-Kette im Discounter herhalten. Das ist schon die erste Herausforderung des Stadtteils. Gibt es etwas, gibt es dazu kaum Alternativen. „Ein nettes Café wäre jetzt wirklich schön“, sagt Schlupp.
Von Schönefeld nach Reudnitz – und wieder zurück?
Hier am Stannebeinplatz Ecke Gorkistraße stehen frisch sanierte neben
abrissreifen Häusern. Zudem verbringen viele Alkoholiker und starke
Raucher ihre Tage auf den Parkbänken, werfen ihren Abfall einfach auf
die Straße - auch nachdem der Platz vor gut sechs Jahren umgestaltet
wurde. Alle Verkehrsmitteln, die nach Schönefeld fahren, führen daran
vorbei. „Der erste Eindruck ist nicht so gut“, findet Schlupp.
Dabei
gibt es im Viertel bereits ansehnliche Straßenzüge – wie die Dimpfel-,
Taube-, Zittauer oder die Löbauer Straße. In diesen ist Schlupp
aufgewachsen, ist hier mit Freunden Fahrrad gefahren, hat Räuber und
Gendarm gespielt, besuchte die Tanzschule im Permoser Eck und das
Sportstudio in der Leostraße. 2013 zog sie dennoch von Schönefeld weg.
Nach einem Auslandsaufenthalt wollte sie in einer WG leben, in
Schönefeld fand sich keine. In Reudnitz war das schon eher möglich.
„Aber ich glaube, ich wollte auch raus.“
Blick auf die Clara-Wieck-Schule in den 90ern und heute Sicht von der Clara-Wieck-Straße in Richtung Zittauer Straße.
Würzfleisch im DDR-Lokal
Würzfleisch im DDR-Lokal
Wer noch echtes Ostflair in Schönefeld sucht, muss in der Kneipe von Wolfgang Hildebrandt vorbeischauen. Vor 15 Jahren übernahm der 54-Jährige das Lokal, das die Vorbesitzerin „Birgits Beisl“ getauft hatte. Den Namen und die Einrichtung behielt er. Am frühen Nachmittag sitzen Männer an den hölzernen Tischen der Wohngebietsgaststätte, nippen an ihrem Bier. Drinnen Platz für 30 Gäste, draußen im Biergarten nochmal für 20.
Wer hier einkehrt, bestellt Steak au four, Würzfleisch und Strammen Max. „Es muss schmecken wie zu DDR-Zeiten“, sagt der Wirt. So erwarten es seine Gäste. Im Sommer lädt er zum Schlachtfest, einige kommen auch zum Grießbrei essen zu ihm. In der Küche steht Gustav Adolph Blankschän (60), den alle nur Gustl nennen, und bereitet die Hausmannskost frisch zu. Spezialität ist Flecke, ein Gericht, das die Gemüter spaltet.
Viele der älteren Gäste sind inzwischen gestorben, erzählt Hildebrandt. Er ist ständig auf Beerdigungen. Wer fehlt, sind die Jungen. Doch von seinen Stammgästen kann der Kneiper noch immer gut leben, ab und an ist auch ein Urlaub mit der Freundin drin.
Blick auf das Rathaus von Schönefeld in der Ossietzkystraße in den 90ern und heute
Es gab einige Dinge an Schönefeld, die
Ulrike Schlupp
gestört haben. Als sie in der Zittauer Straße wohnte, haben beispielsweiseÖfteren in der Nacht auf der Treppe der heutigen Clara-Wieck-Schule gesessen, getrunken und rumgeschrien. Uferte das aus, haben sie auch noch „Heil Hitler gerülpst“, erzählt Schlupp.
Ihre Jugend verbrachte sie meist draußen, trieb viel Sport . Theater oder Kino habe sie nie vermisst. Dass das für viele aber wichtig ist, kann sie verstehen. Ein Kino gibt es bis heute nicht im Viertel. „Dafür ist in der Eisenbahnstraße jetzt das Ost-Passage Theater entstanden“, sagt Schlupp. Dieses kooperiert aktuell mit dem Fußballverein Inter Leipzig, um Freizeitaktivitäten für Jugendliche im Viertel zu schaffen. Der Plan: ein „Bolzplatz-Projekt“ soll entstehen.
Die C-Jugendlichen des Vereins haben richtig Lust darauf, erzählt Schlupp. Und sie sowieso.
Ihre Eltern leben noch heute in Schönefeld. Anders als ihre Tochter
haben sie allerdings nichts mit Fußball am Hut. „Ich glaube aber, sie
sind ziemlich stolz auf das, was ich mache.“ Auf dem Bolzplatz am Ende
der Heinrich-Büchner-Straße hat alles begonnen. „Die Kuhle vor dem Tor
ist ja noch größer geworden“, stellt Schlupp bei der Besichtigung des
Rasens überrascht fest. „Hier haben wir viele Wochenenden mit
Fußballspielen verbracht.“ Dann hängt sie sich wie selbstverständlich an
den Torbalken. „Wir haben früher oft gehangelt und Klimmzüge gemacht.“
Ob sie noch einmal das Viertel wechselt und nach Schönefeld zurückzieht, kann sie noch nicht genau sagen. Durch den Verein ist sie auch so oft in ihrem alten Viertel.
Neuer Treffpunkt in der Nachbarschaft
Neuer Treffpunkt in der Nachbarschaft
Einheimische wie Ulrike Schlupp kennen in Schönefeld jede Ecke. Doch auch einige Touristen verirren sich ab und an in den Stadtteil, verbringen hier ihre Ferien. Die Schönefelder Jugendherberge ist vor allem bei Schulklassen, Sportgruppen und Vereinen beliebt.
Der Plattenbau in der Volksgartenstraße mit seinen 170 Betten strotzt nicht gerade vor Gemütlichkeit, bietet dafür aber eine Übernachtung zum kleinen Preis. Am Empfang steht Stefan Niklarz, ein engagierter Mittdreißiger, der im Mai die Leitung des Hauses übernommen hat. „Die Herberge hat nicht das beste Bild geworfen“, erzählt der neue Chef und liefert gleich den Grund dafür. „Es gab hier vorher einen Herrscher, der gesagt hat: ‚Das ist meins.‘“ Jahrelang habe der alte Chef die Herberge als Insel im Stadtteil verstanden. Das soll sich künftig ändern.
Niklarz will das Haus enger mit der Nachbarschaft verzahnen, sich an Stadtteilfesten beteiligen, Familienfeiern ausrichten, sich mit der Kita nebenan vernetzen. „Die Jugendherberge muss keinen Gewinn maximieren“, erklärt er. „Die Gemeinnützigkeit steht im Vordergrund.“ In der Nachbarschaft leben neben ein paar Studenten vor allem ältere Menschen. Die Senioren will der Herbergsleiter zu Kaffee und Kuchen und zum Tanztee einladen, das Haus mehr öffnen, anbauen und frischen Wind hereinbringen.
Schließlich habe sich auch der Stadtteil in den vergangenen Jahren stark verändert, so Niklarz, der das Viertel noch als Kind in Erinnerung hat. „Es war alles ein bissel abgeranzt“, sagt der Leipziger, der 15 Jahre außerhalb seiner Heimat lebte und vor Kurzem in den Osten zurückgekehrt ist.
Heute entdeckt er in Schönefeld sanierte Fassaden, Eigentumswohnungen und nette Cafés. Das Viertel sei „ein neuer aufstrebender Stadtteil“, findet der Familienvater. Klar gebe es noch immer „ein paar verunkelige Ecken“, doch insgesamt habe sich viel getan.
Blick in die ehemalige Stöckelstraße 31. Rechts oben erkennt man noch das Muster der alten Kinderzimmertapete. Das Haus wurde abgerissen.
Blick von der Brücke Mockauer Straße / Berliner Straße, Ecke Volbedingstraße, wo jetzt das FitX Fitnessstudio ist.
Texte und Videointerviews, Produktion: Mathias Schönknecht, Gina Apitz
Fotos und Videodreh: Dirk Knofe,
Animation und Logo: Patrick Moye
Schnitt: Felix Ammenn (Leipzig Fernsehen)
Konzept: Gina Apitz
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