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Wendegeschichten: Nachwendenarren

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Viel hat sich seit der Wende vor 30 Jahren verändert. Die Redaktion der OAZ hat das Jubiläum zum Anlass genommen, noch einmal zu den Zeitungen von damals zu greifen und zu fragen: Was ist aus den Menschen und Geschichten geworden? Wie haben sich Schauplätze in der Stadt und im Umland verändert? Und wie blicken die Oschatzer heute auf das Jahr 1989 und die folgenden Jahrzehnte zurück?

Im achten Teil erinnert sich Jörg Petzold, Präsident des Dahlener Carneval Vereins, an die Anfänge der Narren in der Heidestadt kurz nach der Wende. Wie wurde vor ‘89 gefeiert?

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Der elfte Elfte spielte in der Berichterstattung der Oschatzer Allgemeinen Zeitung des Jahres 1989 natürlich keine Rolle: Als die Mauer am 9. November fiel, überschlugen sich die Ereignisse. Für Faschingsveranstaltungen, wie sie der „LVZ-Kulturratgeber“ noch im Februar den Lesern empfohlen hatte, war einfach nicht die Zeit oder Platz.

Blättert man durch die alten Ausgaben – Aschermittwoch war am 8. Februar 1989 – fällt aber noch etwas auf: Eine Karnevalshochburg der Collm-Region fehlt: Zwar wird das zweistündige Programm „des 45-köpfigen Kollektivs des Oschatzer Carneval-Clubs (OCC)“, der im Kreiskulturhaus in seine neunte Saison feierte, besprochen - ohne dass einer der Narren zu Wort kommt.

Auch gibt es Bilder von dessen Lotusblütenfest, das die Besucher ins nicht-sozialistische Ausland entführte. Sie sind abgedruckt - genau wie die Biene, Napoleon oder die Hexe, die mit Glühwein und Bockwurst im Umzug von Mannschatz nach Schmorkau mit dabei waren.

Was aber fehlt, sind die Dahlener.

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„Der Verein wurde erst 1992 gegründet“, bestätigt er. „Es hat vor der Wende wohl schon einmal Karneval gegeben, aber wohl in den 50er oder 60er Jahren. Das müssen Schüler der Ingenieurschule für Fleischwirtschaft gewesen sein.“ Deren Faschingsveranstaltungen fanden spätestens mit dem 21. März 1973 ein jähes Ende, weil Schloss Dahlen abbrannte und der Schulbetrieb endete: „Damit war das Ding durch, der Laden zu“, meint Petzold trocken.

Wie kam er mit dem bunten Treiben in Berührung? „1987 war ich 20“, überlegt er. In Neußen und Sitzenroda sei er mit Karneval infiziert worden: „Als Jugendlicher war ich dort zum Karneval. Ich hatte viele Arbeitskollegen und Kumpels dort. Mit 18, 19, 20 fing man, an das Leben mit Feierlichkeiten zu genießen“, schmunzelt er. „In Sitzenroda gab es den Karneval über die Feuerwehr, die haben das schon eher gemacht. Da sind wir als junge Pimpfe und Lehrlinge mit 18, 19 hingegangen, vielleicht von 1984 an“, erinnert er sich.

Die Idee, selbst einen Faschingsverein zu gründen, kam dann erst nach der Wende, als sie im Trupp in Kühnitzsch feierten: „Dort hatten ein paar den Einfall, man könnte so etwas auch in Dahlen machen. Wir haben das mit mehreren Leuten angekurbelt und dann ist der Verein 1992 gegründet worden“, sagt er. Am 25. Mai wurde der Verein von offiziell elf Mitgliedern gegründet. „So viele waren es nicht. Wir sagen immer, elf Leute haben sich getroffen. Mit Männern und Frauen kriegten wir den Elferrat, glaube ich, gar nicht richtig voll“, erinnert er sich.

Die jungen Leute waren damals in etwa in einem Alter: Anfang/ Mitte Zwanzig, gerade Neubundesbürger, manche auch ein, zwei Jahre jünger oder älter. Im November 1992 feierten sie die erste Veranstaltung in der Landgaststätte: Zum „Schürzenball“ lud der Sackhupper in „Teufels Küche“ ein. „Wir hatten selbst gebaute Kostümchen: An die Badehose etwas angenäht, weil wir keine Knöppe hatten“, erinnert sich Petzold.

„Wir haben angefangen Fasching zu feiern aus Spaß an der Freude, wir waren jung und dynamisch und es passierte ja etwas – und es war ja sonst nichts los.“ Nach und nach, wurden es nach der 2. Saison immer mehr, erst 20, dann 30 Leute.
In die Landgaststätte, einen der ersten Veranstaltungsorte, bekamen sie um die 200 Personen unter. Doch auch deren Tage waren gezählt: „Da war früher die LPG drin, die Kolchose ist dann irgendwann rausgegangen und sie gehörte der Stadt.

Damals wollte ich schon Räumlichkeiten anmieten“, sagt Petzold. Und erzählt, wie sein Verein zu seinem Haus in der Bahnhofstraße kam. „Die Stadt wusste damals schon, dass es langfristig weggerissen werden sollte, weil sich ein Netto-Markt ansiedeln wollte. Die Räume waren so nicht zu sichern – wir haben dort zwar geprobt und gemalt, sodass ich fast täglich aus- und einging, aber langfristig waren sie nicht zu halten.“

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Seit Anfang der 2000er, nachdem auch die „Tanne“ geschlossen hatte und sie zunächst nach Bucha ausgewichen waren, feiern die Dahlener in ihren eigenen Räumlichkeiten: „Das war früher der Schulungsraum der Agraringenieursschule“, beschreibt Petzold deren realsozialistische Vergangenheit. „Zu DDR-Zeiten befanden sich hier Baracken, ein Schulungsgebäude und eine Turnhalle.“

Eine Wand zog sich damals noch durch flachen Raum: „Die Bude war wesentlich kürzer, es gab keine Bar und nichts“, beschreibt er. Jetzt könne man hier mit 80 Leuten feiern und der Raum wirke immer noch angenehm. „Wenn es richtig voll ist, sind wir um die 120 Leute. Aber dann ist die Grenze auch da und man kann nicht mehr treten.“

Die eigenen Räume seien ein Segen, aber auch ein Joch, meint er, „weil alles in der Freizeit noch mitgemacht werden muss und man sich nicht bloß irgendwo einmietet. Als wir noch in der ‚Tanne‘ waren, kamen wir einmal hin, haben alles geschmückt, einmal geprobt und dann war das Ding gut.“

So voll wie einst in der Landgaststätte ist es nicht mehr im Vereinshaus. Die Dahlener Narren spüren den Bevölkerungsschwund auf dem Land. „Das merkt man heute, früher war die Landgaststätte voll mit Senioren.“ Zwar hat sich von den anfänglich elf Leuten ein großer Stamm erhalten, andere wiederum zogen weg oder sich aus familiären Gründen zurück.

„Wir haben zwar auch ein paar Jugendliche, aber die Jugend hat sich heute verändert“, sagt der Vereinsvorsitzende. Hinzu kommen immer mehr Auflagen von der Stadt und dem Landratsamt. „Ich hab manchmal schon gesagt, irgendwann ist hier Ende-Allende – aber es hat immer wieder funktioniert, es ging immer wieder weiter.“

Dass die Dahlener doch noch etwas mehr Narrenfreiheit genießen, sieht er auch beim Umzug im November, wenn aus der Partnerstadt Rietberg der Fanfarenzug anreist: „Sie sind eine Riesenbereicherung für den Umzug. Wir machen auf dem Markt noch immer etwas Halligalli und Feuerwerk – da schläft denen jedes Mal das Gesicht ein: Weil das bei denen gar nicht mehr geht, die Auflagen sind bei ihnen zu groß. Ich hoffe, das geht bei uns noch ein paar Jahre. Ich hoffe, die Stadt brennt nicht ab.“

Ist es bei auflagenlastigen Diskussionen, etwa wo Konfetti geworfen werden darf und wo nicht, vielleicht gar schwerer geworden, Fasching zu feiern? „Ich weiß, dass viele zu DDR-Zeiten auch ihre Probleme hatten. Weil Vater Staat oder das Kulturministerium alles begutachteten. Aber die meisten haben es hingekriegt. Vielleicht“, gibt sich Petzold nachdenklich, „war es auch einfacher: Du hattest in Anführungsstrichen ein Feindbild, eine Richtung, wo du immer hacken konntest. Und wenn du ein bisschen mit Geist und Wortwitz daran gegangen bist, hast du ganz genau gewusst, wer gemeint sein soll.“

Heute könne man hingegen alles bringen. Aber ob es die Leute hören wollten, sei einen andere Frage.

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Die Teile wurden dabei dem Monat zugeordnet, in dem der Originalartikel vor 30 Jahren in der Zeitung stand. Bereits erschienen sind:



Teil eins, November: Die friedliche Revolution in Oschatz. Der ehemalige Superintendent Martin Kupke erzählt von den Entwicklungen im November 1989.

Teil zwei, Juni: Elfriede Herrmann und der Sport in der DDR. Die Oschatzer Turngröße erzählt, was sich im Sport seit der Wende verändert hat.

Teil drei, Mai: Peter Noack und sein erster Trabant. Der Riesaer erzählt uns von seiner Liebe zu einem Automobil "Made in GDR".

Teil vier, Oktober: Gabi und Roland Fischer nehmen uns mit ins Neubaugebiet in Oschatz-West, das im Oktober 1989 noch im Bau war.

Teil fünf, August: Wilfried Queißer erinnert sich, wie er das Oschatzer Glasseidenwerk vor der Abwicklung rettete.

Teil sechs, April: Frank Voigtländer beschreibt uns hinter dem Tresen der Diskothek Halli Galli in Kleinpelsen, wie sich das Feiern in der ländlichen Region über die Jahre verändert hat.

Teil sieben, September: Gabi Liebegall hat die Wende in Oschatz journalistisch begleitet. Änderte sich ihre Arbeit nach dem Mauerfall?

Teil acht, Februar: Jörg Petzold, Präsident des Dahlener Carneval Vereins, erinnert sich an die Anfänge der Narren in der Heidestadt kurz nach der Wende.

Teil neun, März: Oberbürgermeister Andreas Kretschmar erzählt zum Abschluss, wie er die Zeit der Wende vor 30 Jahren erlebt hat und wie sich die Stadt bis zum heutigen Tag entwickelt hat.

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Video

Idee und Konzeption: Hanna Gerwig und Manuel Niemann

Texte: Hanna Gerwig, Manuel Niemann

Videos/ Audios: privat, DDR-Fernsehen, Hanna Gerwig, Manuel Niemann
Bilder: Günther Hunger, Dirk Hunger, Dahlener Carnevals Club, Hanna Gerwig, Manuel Niemann, privat

Titelcollage: Patrick Moye
Redaktion und Beratung: Gina Apitz

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