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Demenzkranke laufen aus Heimen weg

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Es passiert oft: Demenzkranke laufen weg und finden nicht zurück. Auch Todesfälle sind zu beklagen. Der Spagat zwischen Schutz und Freiheitsberaubung erweist sich als schwierig.

von Claudia Carell

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In manchen Heimen bekommen Bewohner Hausschuhe mit einem Chip, der ein Signal auslöst, wenn derjenige das Heim verlässt.
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Sie wollen meist nach Hause. Dorthin wo sie Jahrzehnte gelebt, geliebt und gelacht, vielleicht auch gelitten haben. Eine Demenzpatientin im Altenpflegeheim St. Barbara in Regis-Breitingen läuft besonders häufig fort, erzählt Heimleiterin Petra Mohr. Immer wieder zu ihrer früheren Wohnung in der Kleinstadt. „Die Leute kennen sie im Ort und sagen uns Bescheid“, berichtet die Heimchefin, die häufig auch selbst mit Rad oder Auto losfährt, um die Frau zurück zu holen.

Das Weglaufen von Bewohnern mit Demenz sei ein „großes Problem“. Derzeit gibt es in ihrem Haus vier Personen, auf die das Personal verstärkt aufpassen muss. Der Spagat zwischen Schutz und Freiheitsberaubung ist schwierig. Demenzkranke dürfen laut Gesetz nicht eingesperrt werden. An den Fluchttüren des Regiser Heims, die auch nachts von innen zu öffnen sind, ertönt ein Signal, wenn jemand sie benutzt. Demnächst soll es auch noch eine Extra-Sicherung am Hauptausgang geben.

Doris Krumbholz, Chefin der gleichnamigen Pflegegruppe im Leipziger Land, zu der auch zwei Heime in Groitzsch und Pegau gehören, hat dies in ihren Häusern schon. Am Hausschuh derjenigen Bewohner, die häufig weglaufen, ist ein Chip, der ein Signal auslöst, wenn der Schuhträger das Heim verlässt. Dabei wird kein Name angezeigt, das sei verboten, doch die Schwestern werden so darauf aufmerksam gemacht.

Auch die Groitzscherin sieht das Weglaufen von Bewohnern als „großes Problem“ an. Für die Pflegerinnen sei es sowohl psychisch als auch physisch eine Belastung. „Der Personalschlüssel erlaubt es nicht, dass eine Person 24 Stunden lang auf einen Bewohner aufpassen kann. Das funktioniert nicht“, sagt Krumbholz.

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In manchen Heimen bekommen Bewohner Hausschuhe mit einem Chip, der ein Signal auslöst, wenn derjenige das Heim verlässt.
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„Ich muss zu meinem Mann und zu meinen Kindern.“
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Seit Jahren schon müsse man sich mit dieser Situation auseinander setzen. Die Senioren wollen meist nach Hause. „Ich muss zu meinem Mann und zu meinen Kindern“, sagt so mancher Demenzkranke, obwohl der Gatte nicht mehr lebt und die Kinder schon längst erwachsen sind.

Auch Petra Mohr aus Regis-Breitingen kennt dies allzu gut. „Ich geh’ jetzt heim.“ Diesen Satz hört sie häufig und hat Mitleid mit den alten Menschen: „Es ist so traurig, wenn sie immer wieder zu ihrer früheren Wohnung laufen und dort vor verschlossener Tür stehen.“ Wenn die Betroffenen im Ort gewohnt haben, sei es noch relativ einfach, sie zu finden. Wer aber woanders lebte und mit dem Zug fahren will – „da wird es schwierig“. Es gebe jedoch auch Bewohner, die einfach gern spazieren gehen und nicht wieder zurück ins Heim finden.

„Glücklicherweise ist bei uns noch nichts Schlimmes passiert“, meint die Heimleiterin. „Bisher mussten wir erst einmal die Polizei alarmieren.“ Der vermisste Bewohner konnte aber dann schnell gefunden werden. Das ist nicht immer so.

Vor einem Jahr erschütterte der Tod eines 73-Jährigen in Böhlen die Region. Der demenzkranke Rentner verlor bei einem seiner täglichen Spaziergänge die Orientierung und starb an Unterkühlung. Er war aus einem Seniorenheim weggelaufen. Erst im vergangenen Monat suchte die Polizei demente Senioren aus Geithain und Markranstädt.

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„Ich muss zu meinem Mann und zu meinen Kindern.“
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Ob dies generell zugenommen hat, lässt sich schwer sagen, so Polizeisprecherin Maria-Katharina Geyer. Erfasst würden nur vermisste Personen, nicht ihr Krankheitsbild. Bei den über 65-Jährigen – bei denen die Wahrscheinlichkeit sehr hoch liegen würde, dass eine Demenzerkrankung vorliegt – ergibt sich folgendes Bild:

2016 wurden in der gesamten Polizeidirektion Leipzig, zu der die Messestadt sowie die Landkreise Leipzig und Nordsachsen gehören, 98 Personen dieser Altersgruppe vermisst gemeldet. Drei von ihnen konnten nur tot aufgefunden werden.

– 2017 wurden 151 Menschen über 65 Jahre vermisst, zwölf davon starben.

– Bis Ende Oktober 2018 gab es in dieser Altersgruppe 122 Vermisste, von denen zwei starben.

Der Aufwand bei der Suche sei enorm. Oft gehören dazu Hubschrauber, Diensthunde, Boote, Taucher sowie viele Beamte, so die Polizeisprecherin. Doch das sei gerechtfertigt, weil „es sich bei jedem dieser Vermisstenfälle um eine signifikante Gefahr für Leib und Leben handelt“.


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Interview mit Dr. David Boeckler

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Dr. David Boeckler Neurologie-Oberarzt in der Bornaer Sana-Klinik
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Es gibt mehr Demenzkranke. Hat damit auch das Problem, dass sie aus Einrichtungen wie Pflegeheimen und Betreutem Wohnen weglaufen, zugenommen?
David Boeckler: Durch den demografischen Wandel und die erhöhte Lebenserwartung wird es tendenziell mehr Demenzkranke geben. Der Fachkräftemangel in Pflegeberufen führt zusätzlich zu einer erschwerten Betreuung der Betroffenen. Es gibt jedoch keine verlässlichen Daten, ob deshalb mehr Menschen mit Demenz „verloren gehen“ oder weglaufen werden. Die Herausforderung an die Betreuungssysteme sind aber sicherlich groß.

Viele Demenzkranke müssen sich bewegen und man darf sie auch nicht einsperren, möchte sie aber trotzdem schützen. Wie kann dieser Spagat aus Ihrer Sicht in Pflegeheimen gelingen?
Einzelne Pflegeheime haben innovative Ansätze, um das zum Teil gesteigerte Bewegungsbedürfnis von Patienten mit Demenz abzufedern, wie zum Beispiel speziell angelegte geschützte Gärten oder Grünanlagen, Bewegungstherapie und auch geführte Spaziergänge. Bauliche Maßnahmen wie Sicherheitsschranken, Schwesternstützpunkte oder Pförtner an den Ausgängen können ebenfalls mehr Sicherheit bieten. Vereinzelt werden auch elektronische Hilfsmittel eingesetzt wie Armbänder, die von den Betroffenen getragen werden, die einen Alarm auslösen, wenn zum Beispiel eine Lichtschranke an Ausgängen überschritten wird. Hierzu ist jedoch explizit das Einverständnis der Betroffenen oder deren Vorsorgebevollmächtigten notwendig.

Können Sie erklären, warum die Betroffen oft so ruhelos sind?
Ein nicht unerheblicher Teil von Menschen mit Demenz bekommt phasenweise im Laufe der Erkrankung eine psychomotorische Unruhe, die oft mit scheinbar ziellosem und zum Teil wie getrieben wirkendem Umherlaufen einhergeht. Die genaue Ursache ist nicht bekannt. Eine Ursache dürfte sicher die verminderte Fähigkeit sein, die aktuelle Situation und Umgebung kognitiv zu verstehen und auch die gestörte Verhaltenskontrolle, die durch den Untergang regulierender Hirnzentren bedingt ist. Die Behandlung ist oft schwierig und erfordert zum Teil medikamentöse Maßnahmen, aber auch Interventionen durch „Umgebungstherapie“. Dazu gehören Ergotherapie, Spaziergänge und geschützte Umgebungen.




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Dr. David Boeckler Neurologie-Oberarzt in der Bornaer Sana-Klinik
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In der Dokumentation wird erklärt, wie anderen Menschen mit Demzkranken umgehen sollten.

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Wenn demenzkranke Senioren aus einem Pflegeheim fortlaufen und nicht innerhalb kurzer Zeit wiedergefunden werden oder von allein zurück kommen, wird die Polizei informiert. Häufig kommt es dann zu Öffentlichkeitsfahndungen in den Medien. Einige Beispiele:
 
Geithain: Eine 83-jährige Frau verließ an einem Sonntagmittag im Oktober 2018 das Seniorenheim und wurde am Montagvormittag unversehrt gefunden – im 50 Kilometer entfernten Gerichshain bei Wurzen. Polizeikräfte hatten intensiv nach der Vermissten gesucht. Der entscheidende Hinweis kam von Passanten, denen die Frau in Gerichshain auffiel.

Markranstädt: Bereitschaftspolizei, Hundestaffel und Polizisten durchkämmten an einem Donnerstag im Oktober 2018 Markranstädt und die umliegenden Ortschaften. Auch ein Hubschrauber war im Einsatz. Gesucht wurde eine 80-Jährige, die bereits am Vortag vermisst gemeldet wurde. Am Abend wurde die Frau im Bereich der Pflegeeinrichtung mit einer Platzwunde am Kopf gefunden.

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Böhlen: Ein 73-jähriger Demenzkranker verlor im November 2017 bei einem seiner täglichen Spaziergänge in Böhlen (Landkreis Leipzig) die Orientierung – und starb an Unterkühlung. Der Mann lebte im Seniorenzentrum und bewegte sich viel. Viele Menschen mit Demenz brauchen Bewegung, das ist unter Ärzten unstrittig. Je nach Schwere der Erkrankung würde die Bewegungsunruhe immer mehr zunehmen.

Torgau: Ein 87-Jähriger wurde im März 2018 in Torgau gesucht. Als die Mitarbeiterin eines Pflegedienstes nach dem Senior schauen wollte, war er nicht zu Hause. Sie informierte den Sohn des Mannes und dieser die Polizei. Es startete eine große Suchaktion, bei der die Leiche des Mannes im Einlaufgraben eines Teiches gefunden wurde.

Plottendorf: Tragisches Ende einer großen Suchaktion in Plottendorf (Landkreis Altenburger Land): Im November 2012 wurde die Leiche einer seit Wochen vermissten 69-jährigen Frau zufällig im Kammerforst entdeckt. Sie litt an Demenz und konnte sich nur schwer orientieren, hieß es. Sie war aus der Seniorenresidenz fortgelaufen.

Die Polizei suchte mit zahlreichen Beamten und auch speziell geschulten Suchhunden sowie einem Hubschrauber nach ihr. Selbst die Feuerwehr der Region durchkämmte mit insgesamt 120 Kameraden in Suchketten den Wald – ohne Erfolg.


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Wenn Demenzkranke aus Pflegeheimen verschwinden

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Studie der tu dresden tiere verbessern das wohl demenzkranker menschen

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