Fluchtmuseum Schloss Colditz Wo die Nazis alliierte Offiziere festhielten
Das neu konzipierte Fluchtmuseum auf Schloss Colditz gilt als diejenige Schau im Landkreis mit den meisten Besuchern aus aller Welt. Auf 150 Quadratmetern können die Gäste mehr erfahren über das Katz- und Mausspiel zwischen deutschen Wachleuten und alliierten Offizieren während des Zweiten Weltkriegs.
von Haig Latchinian
Lager für die Bad Boys
Lager für die Bad Boys
Viele der 10.000 Briten, die jährlich Schloss Colditz besuchen, lachen dort gern und vor allem laut. Colditz ist für sie Sehnsuchtsort. Ihr Traum schlafloser Nächte. Ein Spielplatz für große Kinder. Wie andere Räuber und Gendarm spielten, spielten sie von Klein auf Colditz. Ausbrecher gegen Aufseher. Ob Bücher, Filme oder Würfelspiele – Colditz war, ist und bleibt Kult auf der Insel.
Der Guide lässt in Colditz gewöhnlich keinen Schabernack aus, den die Bösen Buben, die Bad Boys, wie sich die Engländer selber nennen, mit den deutschen Wachleuten getrieben haben. Für Einheimische ist der Klamauk mindestens gewöhnungsbedürftig. Der Zweite Weltkrieg als Spaßfaktor – für den guten Deutschen bislang undenkbar. Wohlwissend, dass im KZ gleich um die Ecke sogenannte Untermenschen zu Tode gequält wurden.
Das Colditzer Gefangenenlager für alliierte Offiziere war ein Sonderfall. Das internationale Rote Kreuz überwachte die Einhaltung der Genfer Konvention. Die deutschen Wachleute wussten: So wie sie die Offiziere des Feindes behandeln, so würde der Feind mit den deutschen Offizieren umgehen. Also krümmte man den prominenten Inhaftierten kein Haar.
Viscount Lascelles, der Neffe von King George VI., Captain John, the
Master of Elphinstone, Neffe von Queen Mum, Max de Hamel, Neffe Winston
Churchills, sowie Giles Romilly, Neffe von Churchills Frau, sie alle
saßen in Colditz ein. Wenn sie schon nicht kämpfen konnten, so war es
ihre soldatische Pflicht, die Wachleute zumindest rund um die Uhr zu
beschäftigen. Über 300 Fluchtversuche starteten sie zwischen 1941 und
1944. Und das ausgerechnet in jener als ausbruchsicher geltenden Festung
hoch über der Mulde.
Kein Ort für schwache Nerven
Fassaden, Dächer, Mauern: 40 Millionen Euro investierte das Land Sachsen seit der Wende in das Colditzer Schloss, das zuletzt als Krankenhaus genutzt wurde.
In das Gemäuer mit angeblich 700 Zimmern sind eine Jugendherberge und die Landesmusikakademie eingezogen. Die Gesellschaft Schloss Colditz (GSC) bietet täglich Führungen durch die wechselvolle Geschichte. Wohnort von Kurfürstin Sophie, dann Landesanstalt für unheilbar Geisteskranke, ein frühes KZ – kein Ort für schwache Nerven.
Herzstück der Ausstellung ist das überarbeitete Fluchtmuseum. Dessen Neugestaltung war André Thieme von den Staatlichen Schlössern Sachsens 25.000 Euro wert. Zweisprachig – auf Deutsch und Englisch – wird der Besucher im ehemaligen Beamtenhaus informiert. Nicht bespaßt. Dennoch kommt die Schau auf 150 Quadratmetern alles andere als dröge daher.
Schon im Wendelstein entdeckt der Besucher einige Kritzeleien der Gefangenen. Designer Holger Siegfried rekonstruierte entsprechend gesicherte Originale: Pin-Up-Girls, Wasserschlachten, Pferderennen.
Malermeister Manfred Deutrich wählte für die drei Räume einen halbhohen Anstrich in warmem Gelb-Grün, jener Farbe, die typisch ist für britische Militäruniformen. Im Wehrmachtsspind läuft ein Drei-Minuten-Film. Über Tonband ist David Ray, Chef der Londoner Colditz Society, zu hören. Zu sehen ist ein Scheinwerfer, dazu eine Strickleiter und das Leinentuch mit Herbstblättern, mit dem die bösen Buben einen Laubhaufen als Versteck simulierten.
Flucht aus dem Theatersaal
Flucht aus dem Theatersaal
Gestochen scharf sind die mit der Plattenkamera angefertigten Bilder des Colditzer Fotografen Johannes Lange. Er wurde regelmäßig ins Lager gerufen, um zu Schulungszwecken des Wachpersonals jeden einzelnen Fluchtversuch nachzustellen und zu dokumentieren. Meisterlich seine Schnappschüsse vom Theater: Gefangene als Männlein und Weiblein kostümiert. Das Bühnenbild aufwendig gestaltet. In der ersten Reihe die Wachleute, dahinter die alliierten Offiziere. „Im Stück Fata Morgana der Niederländer wird eine lebensgroße Kuh auf die Bühne geschoben. Ihr Fell ist nicht nur gescheckt, sondern auch mit einem riesigen V versehen – V für Victory“, sagt Regina Thiede.
Die Museologin bezeichnet das neue Fluchtmuseum als Aushängeschild. „Die Bilder waren verblichen, die Berichte der Veteranen kaum noch lesbar. Uns kam es darauf an, Verbindungen herzustellen, Geschichten zu erzählen und neuere Forschung einfließen zu lassen.“ GSC-Geschäftsführerin Cornelia Kasten ist glücklich: „Das Museum kommt sehr gut an – egal ob bei Australiern oder Neuseeländern, Briten oder Niederländern, Franzosen oder Südafrikanern.“
Erzählt wird die Flucht aus dem Theatersaal, eine von insgesamt 31 gelungenen Storys. Über eine Luke in der Decke gelangte Airvey Neave in die Freiheit. Neave saß später als Abgeordneter im britischen Unterhaus, wurde enger Vertrauter und Privatsekretär von Premierministerin Margaret Thatcher. 1979 starb er durch eine Bombe der IRA. Sein Tod versetzte das ganze Land in Alarmbereitschaft.
Den Deckel, mit dem die Luke im Theatersaal kaschiert wurde, hatte Pat Reid gefertigt. Reid war der weltbekannte Autor des Romans „The Colditz Story“. Sein Tarndeckel ist im Museum ebenso zu sehen wie die Uniform des späteren niederländischen Vizeadmirals Frederik Kruimink. Das Museum konnte sie unlängst für 2000 Euro ankaufen. „Colditz-Devotionalien sind international bei Sammlern begehrt und nicht billig“, weiß die Museologin.
1941 organisierten die polnischen Gefangenen eine Olympiade in Colditz Castle. Volleyball und Fußball, Schach und Bridge. Während die Polen, Belgier, Franzosen und Holländer mit Feuereifer bei der Sache waren, hielten die Briten den zur Schau gestellten Nationalstolz ihrer Kameraden für übertrieben. Sie machten sich sogar darüber lustig.
Ein Mannschaftsfoto von Johannes Lange zeigt sie beim Grimassen-Schneiden. Die Briten und ihr trockener Humor. Auch Schloss Colditz bedient ihn. Zumindest hier und da, man will ja kein Spielverderber sein: In einer Einzelzelle, in der notorische Ausreißer zur Strafe sitzen mussten, steht ein Bett mit NVA-Bettbezug. Dazu: Waffe und Stahlhelm. „Nein, nein, keine Originale. Die Briten mögen das halt.“