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Auf den Spuren des Leipziger Industriepioniers und Unternehmers Karl Heine

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Er legte den sumpfigen Leipziger Westen trocken, machte Plagwitz zum Industriegebiet und träumte davon, die Messestadt mit dem Meer zu verbinden: Vor 130 Jahren starb der Unternehmer Karl Heine. Nur wenige Orte erinnern heute an den Industriepionier von damals. Eine Spurensuche.

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Angelika Pohler erforschte das Leben von Karl Heine - und bewahrt angeblich seine Brille auf.
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Angelika Pohler erforschte das Leben des Leipziger Unternehmers, konzipierte eine Ausstellung und ist noch in anderer Hinsicht mit dem Industriepionier verbunden: Die 67-jährige Grafikerin wuchs auf dem Gelände der Leipziger Westend-Baugesellschaft auf, dem ehemaligen landwirtschaftlichen Gut von Karl Heine, im heutigen Duncker-Viertel.

„Ich hatte eine einfache Kindheit“, erinnert sie sich. Ihre Eltern flüchteten nach dem Zweiten Weltkrieg aus Schlesien, kamen mittellos nach Leipzig. Der Vater arbeitete seit 1948 als Landwirt auf dem Hof, beackerte die Felder mit dem Pferdefuhrwerk.

Eines Tages fand er dort eine Brille und schenkte sie seiner Tochter mit den Worten: „Die könnte dem Karl Heine gehört haben.“ Ein Fachmann bestätigte später, dass der Nasenkneifer aus dieser Zeit stammt. Der Unternehmer könnte sie verloren haben, als er mit dem Pferd über die Äcker ritt. Porträts zeigen Heine mit einem ähnlichen Modell. Ob es wirklich seine Brille ist, kann wohl niemand mit Bestimmtheit sagen, aber Angelika Pohler will gern daran glauben. Wer kann schon das Gegenteil beweisen?

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Angelika Pohler erforschte das Leben von Karl Heine - und bewahrt angeblich seine Brille auf.
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Wo heute Lipizzaner Pferde gezüchtet werden, wuchs der 1819 geborene Karl Heine auf. Damals hieß das Rittergut in der Nähe von Leipzig noch Neuscherbitz und war umgeben von sumpfigen Wiesen.

Als Heranwachsender besuchte der junge Karl zwar fleißig die Thomasschule. In seiner Freizeit beschäftigte er sich aber lieber mit praktischen Dingen. „Als 17-Jähriger leitete er auf dem Gut Bäche um, grub Kanäle, errichtete Wehre und Mühlräder“, so Angelika Pohler. Und übte damit für sein späteres Vorhaben im Leipziger Westen.

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Die Karte zeigt die Vielzahl an Gleisen, die durch den Leipziger Westen verlegt wurden.
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Ab 1837 studierte Karl Heine Jura an der Leipziger Universität, doch seine Leidenschaft galt praktischen Vorhaben. Nach dem Abschluss des Studiums begann er, das gesamte Westviertel der Stadt trocken zu legen, das zur damaligen Zeit einem Sumpf glich. „Durch das feuchte Klima gab es sogar Malaria in Leipzig“, schildert Pohler. Heine ließ bis zu zwei Meter hoch Erde aufschütten, legte Straßen an und verkaufte die Parzellen an Unternehmen.

Später verlegte er durch ganz Plagwitz Gleise, sodass die Firmen an das Eisenbahnnetz angebunden waren. Auf diese Weise konnten sie ihre Güter schnell und effektiv transportieren. „Das war immer sein großes Anliegen“, so die Heine-Expertin.

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Die Karte zeigt die Vielzahl an Gleisen, die durch den Leipziger Westen verlegt wurden.
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Heute drängeln sich die Paddel- und Motorboote auf dem Karl-Heine-Kanal. Gebaut wurde der Wasserweg damals aus einem ganz pragmatischen Grund: die Trockenlegung von Plagwitz.

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Sabine Heymann vom Verein "Wasserstadt Leipzig".
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„Heine ging es darum, im Westen ein neues Industriegebiet zu erschließen und es an Leipzig anzubinden“, erklärt Sabine Heymann, Vorsitzende des Vereins Wasserstadt Leipzig. Dafür brauchte der Unternehmer jede Menge Erde und begann 1856 einen Kanal zu graben. Der Aushub eignete sich hervorragend dafür, das sumpfige Gebiet im Westen trocken zu legen.

Die schotterartige „Grauwacke“, auch bekannt als „Karl-Heine-Knack“, war „idealer Untergrund für das Anlegen von Straßen“, so die 54-Jährige. Nebenbei entstand eine neue Wasserstraße, auf der die Leipziger damals noch per Dampfschiff nach Plagwitz schipperten. Die König-Johann-Brücke etwa wurde 1862 in Anwesenheit des sächsischen Königs Johann eingeweiht – inklusive einer Bootsfahrt auf der Elster in einem geschmückten Transportkahn.

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Sabine Heymann vom Verein "Wasserstadt Leipzig".
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Zu DDR-Zeiten vermüllte der Kanal, war nur noch bei Hochwasser befahrbar, so Heymann weiter. „Nach der politischen Wende war Plagwitz der desolateste Teil von Leipzig“, so Heymann, die für die CDU im Leipziger Stadtrat sitzt.

Doch es glückte, das heruntergekommene Viertel „wachzuküssen“. Von 1992 bis 96 wurde der Kanal saniert und ein Radweg angelegt. Insgesamt kostete das Projekt knapp 20 Millionen D-Mark. „Das war für damalige Verhältnisse sehr teuer“, findet Heymann. In den Neunzigern habe niemand damit gerechnet, dass sich einmal so ein reger Bootsverkehr entwickeln würde.

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Sabine Heymann über Heines Kanal-Idee und den Verfall der Wasserstraße zu DDR-Zeiten

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Doch der Traum Karl Heines, Leipzig über die Saale und die Elbe mit den Weltmeeren zu verbinden, lässt weiter auf sich warten. Im Zweiten Weltkrieg kam der Bau des sich hinter dem Lindenauer Hafen anschließenden Elster-Saale-Kanals zum Erliegen – bis heute.

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Die Plagwitzer Brücke ist noch heute wichtig für die Anbindung von Plagwitz an das Leipziger Zentrum.
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„Das Dörfchen Plagwitz war von Leipzig aus nur über Lindenau erreichbar“, sagt Heine-Fachfrau Angelika Pohler. Wer dorthin wollte, musste die heutige Jahnallee und sieben Brücken überwinden.

Karl Heine ist die Plagwitzer Brücke zu verdanken, die die Innenstadt mit dem Stadtteil verbindet. „Er kämpfte zwölf Jahre lang um die Genehmigung, eine Brücke über die Weiße Elster bauen zu dürfen“, so Pohle. 1869 wurde die damals 18 Ellen breite Brücke eröffnet. Sie ist bis heute – wenn sie nicht gerade gesperrt ist – eine wichtige Verbindung in den Westen des Stadt.

Die Postkarte oben zeigt die Plagwitzer Brücke, wie sie um 1903 aussah.

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Die Plagwitzer Brücke ist noch heute wichtig für die Anbindung von Plagwitz an das Leipziger Zentrum.
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Dank Heines Engagement blühte der Leipziger Westen Ende des 19. Jahrhunderts auf. Die Einwohnerzahl von Plagwitz stieg rasant. Lebten 1855 gerade mal 377 Menschen im Viertel, waren es 30 Jahre später schon 13  000. Auch die erste Schule und das erste steinerne Haus, das 1856 errichtet wurde, verdankt der Stadtteil dem Unternehmer.

In dem letztgenannten Gebäude ist heute die Buchhandlung von Heike Grümmer beheimatet. „Das Haus wurde aus der Grauwacke erbaut, einem Gestein, das aus dem Karl-Heine-Kanal stammt“, weiß die Inhaberin. „Wir haben hier 80 Zentimeter dicke Mauern und überall Tonnengewölbe.“

1936 kauften ihre Großeltern das Haus mit Garten. Nach der Wende eröffnete Grümmer hier ihre Buchhandlung, sanierte das Gebäude in den Neunzigern und beschäftigt aktuell fünf Mitarbeiter.

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Zur Finanzierung seiner Vorhaben betrieb Karl Heine eine Wäscherei, in der Waschküchen und Trockenböden tageweise vermietet wurden.

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Später kam eine Dampfmaschine hinzu, die seine benachbarte „Aroma-Fabrik für ätherische Öle“ versorgte. „Er hat auf der Weltausstellung in London 1862 große Preise mit seinen Parfümen erzielt“, weiß Angelika Pohler. Heute wohnt es sich nicht schlecht in dem Haus in der Schreberstraße – aus der Fabrik wurden Loft-Wohnungen.

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Hufeisen am rathausring  trenkler  ca. 1903.
Das "Hufeisen" hatte eigene Wasserleitungen, was für damalige Verhältnisse sehr modern war.
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Heines erstes dreigeschossiges Wohnhaus wurde wegen seiner Form „Hufeisen“ genannt und befand sich gegenüber des Neues Rathauses, der damaligen Pleißenburg.

Es bot Platz für 34 Mieter und setzte neue Maßstäbe: Als erstes Privathaus in Leipzig hatte es eigene Wasserleitungen für Küchen und Badewannen, indem Arbeiter täglich Bassins auf dem Dachboden voll Wasser pumpten. Das „Hufeisen“ wurde während der Zweiten Weltkriegs zerstört.

Hufeisen am rathausring  trenkler  ca. 1903.
Das "Hufeisen" hatte eigene Wasserleitungen, was für damalige Verhältnisse sehr modern war.
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Karlheine2018dk e6a2319
Die Schwelle erinnert an den früheren Besitzer des Hauses.
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Noch immer Teil des Stadtbildes ist dagegen Heines letztes Anwesen in der Könneritzstraße, direkt an der Weißen Elster, das noch heute von mehreren Parteien bewohnt wird. Wer über die Schwelle ins Treppenhaus tritt, liest dort noch den Schriftzug „Dr. Heine“.


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Die Schwelle erinnert an den früheren Besitzer des Hauses.
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Das Musikzimmer mit Wandmalereien und Kamin wurde vor einigen Jahren restauriert und wird heute von den Mietern als Partyraum genutzt.

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Familie heine
Zu sehen sind Heines zweite Frau Friederike (r.) und die Töchter Clara und Margareta sowie eine Freundin der Töchter (vermutlich stehend).
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Zwei Mal war Heine verheiratet, fünf Kinder gingen aus den beiden Ehen hervor. „Er wird als freundlicher Gatte und liebevoller Vater beschrieben“, sagt Angelika Pohler. „Ich glaube aber nicht, dass er viel Zeit hatte, sich um seine Familie zu kümmern.“

Die Arbeit, ist sie sich sicher, stand für ihn an erster Stelle. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie Heine waren häufig angespannt. Der Unternehmer war hochverschuldet, nahm zahlreiche Kredite auf, um seine Projekte zu finanzieren.

Zu seinem Arzt Ferdinand Goetz verband ihn eine enge Freundschaft. Außerdem war er Mitglied in der Freimaurerloge Apollo. Glaubens-, Gewissens-, und Gedankenfreiheit lautete deren Credo. „Das war wohl seine Lebensmaxime“, so Pohler. „Er machte sich nichts aus Konventionen.“

Und er setzte sich für seine Arbeiter ein. Ein Jahr vor seinem Tod 1888 veranstaltete Heine für 700 Mitarbeiter ein großes Fest anlässlich der Flutung des letzten Stücks seines Kanals. „So etwas hat damals kein Chef eines großen Industrieunternehmens gemacht“, weiß Pohler.

Familie heine
Zu sehen sind Heines zweite Frau Friederike (r.) und die Töchter Clara und Margareta sowie eine Freundin der Töchter (vermutlich stehend).
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Das heutige Karl-Heine-Denkmal an der Käthe-Kollwitz-Straße
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Und heute? Der Kanal und eine Straße tragen Heines Namen. Er selbst steht überlebensgroß am Pleißeflutbett an der Käthe-Kollwitz-Straße. Der Leipziger Bildhauer Carl Seffner entwarf die drei Meter hohe Bronzestatue, die Heine mit Spitzhacke und Schienen zeigt.

Am 20. April 1897 wurde das Denkmal eingeweiht. Ursprünglich stand es auf der anderen Straßenseite, am Eingang zum Palmgarten. 1938 versetzte die Stadt es zunächst auf die Südseite der Straße und ließ es 1942 einschmelzen – denn die deutsche Rüstungsindustrie hungerte nach Metall. Seit 2001 steht Karl Heine wieder als Nachbildung auf seinem Sockel.

Angelika Pohler ist noch heute beeindruckt von dem, was Heine zu Lebzeiten alles geschaffen hat. „Er hat das Bild des westlichen Leipzigs total geprägt“, sagt sie und werde ihrer Meinung nach zu wenig geehrt. Ihr Wunsch: Ein kleines Museum, das über sein Leben informiert.

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Das heutige Karl-Heine-Denkmal an der Käthe-Kollwitz-Straße
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Aktuelle Fotos und Videodreh: Dirk Knofe
Historische Fotos: Angelika Pohler, Verein Wasserstadt Leipzig, Leibniz Institut für Länderkunde
Schnitt: Felix Ammenn (Leipzig Fernsehen)
Texte, Video-Interviews, Produktion: Gina Apitz

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