Ungewohnt - wohnen, wo andere staunen Das Rittergut neben der Schlossruine
Drei Zimmer, Küche, Bad – das reicht manchen Menschen in und um Leipzig nicht aus. Sie haben sich ein Heim geschaffen, das alles andere als gewöhnlich ist. Die Serie „Ungewohnt“ gibt Einblicke in sieben ganz besondere Häuser. Der vierte Teil: das Rittergut neben der Schlossruine.
Die Wiederbelebung des Ritterguts
Wer das Grundstück des ehemaligen Schlosses im Örtchen Ehrenberg bei Waldheim betritt, spürt sofort, dass hier einst Leben herrschte. Und das, obwohl das Schloss selbst mehr und mehr zerfällt. Denn dort, wo schon im 16. Jahrhundert gewohnt und gearbeitet wurde, hat sich heute der Künstler und Architekt Pier Giorgio Furlan niedergelassen. Und der sorgt dafür, dass der Ort wiederbelebt wird.
Dem 64-Jährigen gehört das gesamte Grundstück. Auch die Überreste des Schlosses sind in seinem Besitz. Im Jahr 1563 wurde es erbaut, fast 400 Jahre später, im Jahr 1948, zum größten Teil abgerissen. Ein Teil blieb verschont – und erinnert heutzutage als Ruine an glanzvolle Tage.
Den Glanz erhalten
Den Glanz erhalten
Furlans Wohnbereich befindet sich im Obergeschoss des ehemaligen Rittergutes neben dem Schloss. Im Erdgeschoss findet ein Museum Platz. Das Haus wirkt schon von außen riesig. Wie groß es wirklich ist, offenbart sich im Innenraum. Das alte Gemäuer sorgt bei Betreten des Hauses für eine besondere Stimmung. Im geräumigen Wohnzimmer dominiert eine lange Tafel. Alte Holzmöbel, ein antikes Sofa und viele weitere Schätze aus vergangenen Zeiten, wie ein Grammophon, schmücken die Wohnung. „Ich will eine besondere Atmosphäre schaffen“, sagt der Künstler. Der Hausherr geht über die knarzenden Dielen und setzt sich in einen Sessel, der neben dem Klavier steht. Er zieht eine Trittbank heran und demonstriert, wie er hier mit seinem Dalmatiner und seiner Katze sitzt und Bücher liest. Es ist Furlans Lieblingsplatz.
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Von Italien nach Ehrenberg
Von Italien nach Ehrenberg
Seit 17 Jahren lebt Furlan in Ehrenberg, einem Ortsteil der Gemeinde Kriebstein. Sein Traum war es schon immer, ein Kulturzentrum zu gründen. Diesen hat er sich mit dem Kauf des Grundstücks rund um Rittergut und Schlossruine erfüllt. Mit seinem Förderkreis Centro Arte Monte Sonore hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die noch bestehenden Gebäude zu erhalten und einer neuen Nutzung zuzuführen. So sind Werkstätten und Atelierräume entstanden. Im Museum wird über vergangene Theaterprojekte und die Geschichte des Rittergutes informiert. Außerdem gibt es ein kleines Heimatmuseum, in dem Haushaltsgegenstände des vergangenen Jahrhunderts zu sehen sind, die die Einwohner der Umgebung dem Verein zur Verfügung gestellt haben.
Auf das verfallene Schloss und das Rittergut in Ehrenberg wurde er auf einer Auktion in Berlin aufmerksam. „Ich war von diesem Ort sofort beeindruckt“, erinnert er sich. Erst interessierte er sich für Objekte in Brandenburg. Doch dort war es ihm zu flach. Furlan kommt ursprünglich aus Conegliano in Italien, einem Ort mit vielen Hügeln im Hinterland von Venedig. „Ich erinnere mich immer an das Schloss, das kleine Dorf. Hier ist es ähnlich. Das gefällt mir sehr. Und wenn Schnee fällt, ist es wie im Märchenland“, sagt der Künstler.
Abenteuer ohne Geld
Abenteuer ohne Geld
Mit 14 Jahren zog der Italiener nach Venedig und ging auf das Kunstgymnasium. Danach studierte er Architektur. Lange arbeitete er auch als Architekt. „Aber irgendwann kam der Punkt, da wollte ich in eine Stadt, in der etwas los ist. Berlin war der ideale Ort dafür“, sagt Furlan, während er einen Espresso in der Siebträgermaschine zubereitet. 1986 kam er nach Deutschland, lebte 15 Jahre lang in der Hauptstadt. „Ich hatte einen kleinen Koffer. Geld besaß ich fast keines. Ich sprach kein Deutsch, hatte nur ein paar Adressen von Freunden aus Italien, die auch in Berlin lebten. Der Anfang war nicht ohne. Aber auch irgendwie ein Abenteuer“, sagt Furlan mit seinem italienischem Akzent.
Er beschäftigte sich ausgiebig mit dem Ort und dem Grundstück, dessen Zukunft nun in seinen Händen lag. Seine Vorstellung war es, die Gebäude möglichst detailgetreu und historisch zu rekonstruieren. Alte Pläne konnte er durch Recherchen in Leipzig, Berlin und Dresden ausfindig machen: „Vor Ort gab es nur ganz wenige Dokumente. Alles war verschwunden“, sagt Furlan. Anhand der gefundenen Dokumente rekonstruierte er das Wohngebäude. „Der Ort war vergessen. Viele sagten es war das Dornröschenschloss. Alles war zugewachsen. Doch ich habe ein Foto vom Schloss gefunden und habe versucht diesen alten Charakter der Anlage zu erhalten“, sagt der 64-Jährige.
Lichter für die Stimmung
Lichter für die Stimmung
Sein Wohnraum ist belebt. In der Weihnachtszeit dekoriert er sein ganzes Haus. Typische Deko aus dem Erzgebirge: Nussknacker, Lichterbogen, Räuchermännchen. Keine der Figuren hat er selbst gekauft, es sind Geschenke seiner Besucher, Freunde und Bekannten. Sie wissen, dass er es mag. „In Italien wird auch geschmückt, aber nicht wie hier. Diese erzgebirgische Tradition finde ich ganz toll“, sagt Furlan.
Außerhalb des Hauses gehen die Lichter an, sobald es dunkel wird. „Wenn du es dir nicht ein bisschen gemütlich machst, bekommst du eine Depression bei diesem miserablen Wetter“, sagt er. Er verstehe, warum die Menschen aus dem Erzgebirge die Tradition des Lichtes pflegen: „Sie waren immer unter Tage, kamen von der Arbeit und es war wieder dunkel. Sie haben diese Tradition mit dem Licht. Und das habe ich übernommen – ich kann nicht ohne Kerzen leben“.
Auch seinen Wohnraum teilt der Künstler mit den Menschen, die ihn umgeben und sein Rittergut besuchen. In jedem Jahr richtet er ein weihnachtliches Essen aus. „Die Menschen genießen die Atmosphäre und den Ort, der seinen Charme hat. Sie spüren, dass hier früher etwas los war und das heute weiterlebt. Die Geschichte vom Schloss geht weiter und das ist das wichtigste“, sagt Furlan überzeugt.
Video-Interview und Text: Maria Sandig
Fotos und Videos: Dirk Knofe
Schnitt: Felix Ammenn (Leipzig Fernsehen)
Grafik: Patrick Moye
Themenidee: Tatjana Kulpa
Konzept und Produktion: Nathalie Helene Rippich, Gina Apitz
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