Serie "Mein Viertel" Schleußig: Yoga und französische Croissants
Auf Streifzug durch den Kiez: In der Serie "Mein Viertel" führen Leipziger durch ihren Stadtteil, zeigen Lieblingsplätze und Schandflecken. In Teil 3 spaziert Cafébesitzer Jens
Waschipky
durch sein Schleußig.
Das Café WB – das heimliche Herz des Viertels
Dass
Schleußig sich in den vergangenen Jahren verändert hat, das merkt
Jens
Waschipky auch
am Brötchenverkauf: „Die Leute fahren über lange Wochenenden viel
häufiger weg als früher. Also kaufen sie am Tag vor dem Feiertag
immer Unmengen ein“, erzählt er. Waschipky
führt das auf die Gentrifizierung zurück, auf steigende Mieten und
die Tatsache, dass der durchschnittliche Schleußiger heute mehr
Geld hat als vor zehn Jahren.
„Friedliches Miteinander“
Qi
Gong-Studioinhaber
Erik Gebauer
ist ein ruhiger Mann
mit langen, zum Dutt gebundenen Haaren. Seit Winter 2015 hat er das
Studio, er wohnt gleich um die Ecke. Schleußig schätzt er vor allem
für sein „friedliches und freundliches Miteinander“, sagt er.
„Überall stehen Geschenke-Boxen an der Straße, in meinem Haus
feiern wir Feste zusammen.“ Früher wohnte Erik auf der
Karl-Heine-Straße. „Dort war mehr Energie, hier ist es deutlich
ruhiger.“
„Schleußig ist ja sozusagen eine Insel des
Schlafs“, fällt Waschipky
ein. Das stimmt. Es
gibt nur eine Handvoll
Bars, nachts sind die Straßen ruhig. Viele Familien leben hier, und
im Sommer drängen sich die Kinder um die Eisausgabe des Café WB.
Die Händler hier halten zusammen Vom Yogastudio zum „Bilderbogen“
Weiter geht es auf die Könneritzstraße. Im „Bilderbogen“, der gleichzeitig Laden und Galerie ist, wartet schon Inhaber Stephan
Völkner.
Wenn
die Busse mit den Touristen beim Bootsverleih am Kanal halten und die
Besucher noch ein bisschen Zeit haben bis das Schiff ablegt, schickt Waschipky sie gern
hundert Meter weiter, in den „Bilderbogen“.
Seit acht Jahren
führt Inhaber Stephan Völkner den Laden. Sein Konzept: Er
rahmt Bilder und Plakate, verkauft ein paar Postkarten, und er
fördert lokale Künstler, indem er ihre Werke ausstellt. Alle drei Monate gibt es eine neue Schau, zu den Vernissagen kommt ein fester Stamm von Besuchern.
Dann stehen vor dem Laden Menschen mit Weingläsern in der Hand auf
dem Bürgersteig – ein eher ungewöhnlicher Anblick an diesem Ende
der Könneritzstraße.
Ausstellungen und hochwertige Rahmen
Hinter der Beratungstheke stellt Völkner 3000 verschiedene Arten von Bilderrahmen aus.
In den Hinterräumen liegt seine Werkstatt. Individuelle und kompetente Beratung, darauf setzt er. Dass das mehr kostet, als ein Rahmen aus dem Möbelhaus, wissen seine Kunden.
In Schleußig gehe alles ein bisschen langsamer als in anderen Teilen der Stadt, hat Waschipky das Gefühl. „Der Hype kommt hier nicht so schnell an, die Infrastruktur platzt nicht aus allen Nähten.“
Treffpunkt Dönerladen und Schwätzchen im Kiosk
Treffpunkt Dönerladen und Schwätzchen im Kiosk
Schleußig,
das ist mittlerweile eine ziemlich bunte Mischung. Die Dönerbude an
der Ecke ist der In-Treffpunkt der Jugendlichen des Viertels, der
schicke Laden mit der nachhaltigen Kleidung ein paar Hausnummern
weiter wäre auch in Berlin-Mitte nicht fehl am Platz, im Waschsalon
daneben ist immer was los.
Die Kioskbesitzerin ist stets für
ein Schwätzchen zu haben – und bestellt selbstverständlich auch
Mini-Kontingente von Magazinen, die nur zwei Personen im
Viertel lesen wollen. Das Miteinander, das sei hier eine
Besonderheit, sagt Waschipky, nicht nur unter Händlern, sondern auch
unter allen Bewohnern.
Natürlich weiß er, was das zehnjährige
Mädchen, das am Nachmittag in sein Café kommt, gleich bestellen
wird. Und natürlich liegt im Winter neben seiner Theke ein Föhn
bereit – für die geplagten Brillenträger, die vor beschlagenen
Gläsern die Brötchen in der Auslage nicht erkennen können.
Absolute Ruhe am Kanal
Und wenn Waschipky mal genug hat vom vielen Scherzen und Reden, vom Smalltalk und vom Helfen, dann kommt er an seinen Lieblingsplatz an der Weißen Elster. Auf einer Wurzel kann er dort ganz bequem sitzen und aufs Wasser schauen, in der Nähe brüten die Eisvögel. „Wenn du ein paar Minuten ganz ruhig sitzt, dann flitzen sie hier hin und her“, sagt er. Die Dynamik aus der Stadt ist wie weggeblasen, keine Boote kommen vorbei, kaum Menschen sind hier unterwegs. Auch diese Ruhe, sagt er, mache für ihn den Charme von Schleußig aus.
Texte, Videointerview und Produktion: Sophie Aschenbrenner
Fotos und Videodreh: Dirk Knofe
Logo: Patrick Moye
Schnitt: Felix Ammenn (Leipzig Fernsehen)
Konzept: Gina Apitz
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