Multimedia-Serie Oschatz 1989 Teil sieben: Der Journalismus im Wandel
Viel hat sich seit der Wende vor 30 Jahren verändert. Die Redaktion der OAZ hat das Jubiläum zum Anlass genommen, noch einmal zu den Zeitungen von damals zu greifen und zu fragen: Was ist aus den Menschen und Geschichten geworden? Wie haben sich Schauplätze in der Stadt und im Umland verändert? Und wie blicken die Oschatzer heute auf das Jahr 1989 und die folgenden Jahrzehnte zurück?
Im siebten Teil treffen wir Gabi Liebegall. Sie hat die Wende in Oschatz journalistisch begleitet und war auch bei der Sicherung der Stasi-Unterlagen dabei. Änderte sich ihre Arbeit nach dem Mauerfall?
Damals... Der Journalismus im Wandel
Mit dem Ende der DDR änderte sich auch die Art, in Oschatz Zeitungen zu machen. Setzte die Arbeit als Journalist bei einer Tageszeitung zuvor eine gewisse Linientreue voraus, galt nach der Wiedervereinigung die Pressefreiheit.
Dass die Umstellung nicht für alle Redakteure und Leser einfach war, erzählt Gabi Liebegall. Sie hat die Wende in Oschatz journalistisch begleitet und war auch bei der Sicherung der Stasi-Unterlagen dabei.
Frau Liebegall, Sie waren
1989 Redakteurin in Oschatz und sind später Chefredakteurin bei der OAZ
geworden. Wie haben Sie die Wende bei der Zeitung erlebt?
Ich habe nach dem
Studium an der Leipziger Uni 1979 in der Lokalredaktion Oschatz der LVZ als
Redakteurin angefangen. Damals waren wir drei Kollegen – der Chef, ein
Redakteur, ich und ein Fotograf.
Die Wende war für
mich persönlich eine sehr harte Zeit. Niemand wusste, wie sich alles
entwickelt. Zu den Montagsrunden, die von Vertretern der Kirche moderiert
wurden, ging es immer sehr heiß zu. Die Menschen haben sich Luft gemacht und auch kein Blatt vor den Mund genommen, als es um die Presse ging. Es gab
Beschimpfungen und Beleidigungen.
Die Montagsrunden gingen fast immer bis in
die Nacht hinein. Danach musste der Text zu Hause geschrieben werden, weil die
Zeitung am nächsten Tag mit dem Zug nach Leipzig ging. Also konnten die Leute
erst mittwochs lesen, was montags in den Gesprächsrunden los war. Und immer
wieder spielte der Gedanke eine Rolle, dass man möglicherweise eingesperrt
werden kann. Es war auch kein gutes Gefühl, mitzuerleben wie die Ideale, die
man hatte, zu bröckeln anfingen.
Wie war die Stimmung unter
den Kollegen?
Am Anfang war es
weder Aufbruchstimmung noch etwas anderes. Ich hatte ein ungutes Gefühl, weil
ich diese Entwicklung nicht einschätzen konnte. Nach und nach empfand ich es
als Genugtuung, dass meine Kollegen und ich zum Beispiel über Baustellen und
die Sorgen der Bauleute schreiben und Missstände anprangern konnten. Daran mussten
sich dann auch die Verantwortlichen gewöhnen. Zur Wende gab es auch den Ruf
nach Pressefreiheit. Also waren wir für die einen ein Revolverblatt, für die anderen
viel zu harmlos.
Wie sah Ihre journalistische
Arbeit vor der Wende aus?
Wir haben über
Industrie, Landwirtschaft und Kultur berichtet und auch kritisiert, soweit es
uns möglich war. Ich persönlich habe sehr gern Porträts geschrieben. Da konnte
ich nicht viel falsch machen. Außerdem habe ich mich als jüngste im Redaktionsteam nach
den erfahreneren Kollegen gerichtet.
Inwieweit hat sich Ihre
Arbeit geändert und mussten Sie selbst als Journalistin umdenken?
Ich brauchte
keinen Schalter im Kopf betätigen, sondern habe das angefangen, was ich schon
immer machen wollte – ich habe mehrere Weiterbildungen zur Polizei- und
Gerichtsberichterstatterin absolviert, war viel bei Gericht, habe vom Alltag
der Polizei berichtet, bin mit dem Rettungswagen mitgefahren. Letzteres habe
ich auch schon vor der Wende gemacht.
Interview: Hanna Gerwig
Gabi Liebegall über Die Räumung der Stasi in Oschatz „Vieles war schon vernichtet“ (Im Bild: eine Vorher-Nachher-Ansicht der Stasi-Zentrale in Oschatz)
„Während viele Stasi-Einrichtungen schon besenrein waren, hatte sich in Oschatz noch nichts getan, obwohl die Bürgerinitiative die Stasi mit Vertretern der Kirche und des Rechts schon aufgesucht hatte. Das erste Mal ging sie aber unverrichteter Dinge wieder. Das war unbefriedigend.
Also hat die Bürgerinitiative entschieden, noch einmal hinzugehen und Material sicher zu stellen. Weil schon so viel Zeit vergangen war, gab es im Verhältnis nur wenig zum Mitnehmen. Vieles war schon vernichtet. Leute, denen die Bürgerinitiative vertraute, sollten dann die Sachen nach Leipzig bringen. Ausgewählt wurde auch ich. Unser Transporter wurde von einer Polizeibesatzung begleitet. Wir haben alles ohne Zwischenfälle überstanden.
Ich habe mich in der ganzen Zeit sehr unwohl gefühlt, hatte Angst und wusste nicht, wem man überhaupt noch vertrauen kann.“
„Da habe ich den Journalismus richtig leben können“
Gabi Liebegall spricht im Telefoninterview darüber, was sich an ihrer Arbeit nach 1989 änderte
Oschatz 1989 - Die Übersicht Über die folgende Übersichtsseite können Sie auf alle Geschichten zugreifen, die im Zuge der Oschatzer Wendeserie bereits veröffentlicht wurden.
Die Teile wurden dabei dem Monat zugeordnet, in dem der Originalartikel vor 30 Jahren in der Zeitung stand. Bereits erschienen sind:
Teil eins, November: Die friedliche Revolution in Oschatz. Der ehemalige Superintendent Martin Kupke erzählt von den Entwicklungen im November 1989.
Teil zwei, Juni: Elfriede Herrmann und der Sport in der DDR. Die Oschatzer Turngröße erzählt, was sich im Sport seit der Wende verändert hat.
Teil drei, Mai: Peter Noack und sein erster Trabant. Der Riesaer erzählt uns von seiner Liebe zu einem Automobil "Made in GDR".
Teil vier, Oktober: Gabi und Roland Fischer nehmen uns mit ins Neubaugebiet in Oschatz-West, das im Oktober 1989 noch im Bau war.
Teil fünf, August: Wilfried Queißer erinnert sich, wie er das Oschatzer Glasseidenwerk vor der Abwicklung rettete.
Teil sechs, April: Frank Voigtländer beschreibt uns hinter dem Tresen der
Diskothek Halli Galli in Kleinpelsen, wie sich das Feiern in der ländlichen Region über die Jahre verändert hat.
Teil sieben, September: Gabi Liebegall hat die Wende in Oschatz journalistisch begleitet. Änderte sich ihre Arbeit nach dem Mauerfall?
Teil acht, Februar: Jörg Petzold, Präsident des Dahlener Carneval Vereins, erinnert sich an die Anfänge der Narren in der Heidestadt kurz nach der Wende.
Teil neun, März: Oberbürgermeister Andreas Kretschmar erzählt zum Abschluss, wie er die Zeit der Wende vor 30 Jahren erlebt hat und wie
sich die Stadt bis zum heutigen Tag entwickelt hat.
Wendegeschichten aus Oschatz Mit ausdrücklichem Dank an alle Interviewpartner aus Oschatz und Umgebung.
Idee und Konzeption: Hanna Gerwig und Manuel Niemann
Texte: Hanna Gerwig, Manuel Niemann
Videos/ Audios: privat, DDR-Fernsehen, Hanna Gerwig,
Manuel Niemann
Bilder: Günther Hunger, Dirk Hunger, Dahlener Carnevals Club,
Hanna Gerwig, Manuel Niemann, privat
Titelcollage: Patrick Moye
Redaktion und Beratung: Gina Apitz
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